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Auf die Formulierung der Frage kommt es an

»Die Nutzer von Umfragedaten müssen für die Bedeutung der Frageformulierung, der Fragemodelle und des Fragebogenaufbaus sensibilisiert werden. […] Vor allem die Dokumentation der exakten Frageformulierungen sowie darüber hinausgehende Informationen über den Fragebogen und das Fragenumfeld müssen erheblich verbessert werden.

Da verkürzte Darstellungen von Frageformulierungen in Medienberichten kaum vermeidbar sind, muß verstärkt darauf gedrungen werden, daß die Institute Angaben zu Untersuchungen bereitstellen, die zur Veröffentlichung in den Medien bestimmt sind und die Befunde sowie Interpretationen auf der Grundlage der Frageformulierungen nachvollziehbar machen.«

aus der Denkschrift Qualitätskriterien der Umfrageforschung (Seite 23) der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Das Memorandum war 1999 von einer Expertengruppe erstellt worden; mitgewirkt haben SozialwissenschaftlerInnen aus Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen sowie führende VertreterInnen privatwirtschaftlich verfasster Markt- und Meinungsforschungsinstitute.



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Fragwürdige Meinungsumfragen

  • »Sterbehilfe« und Demoskopie

aus: BIOSKOP Nr. 43, September 2008, Seiten 10+11

Zahlen und Prozente aus Meinungsfragen erscheinen objektiv; sie suggerieren Genauigkeit und werden häufig unhinterfragt als Tatsache akzeptiert. Kein Wunder, dass PolitikerInnen gern auf demoskopische Ergebnisse verweisen, sofern diese geeignet erscheinen, ihre Ziele zu stützen. Bemüht wird die Meinungsforschung auch in der Auseinandersetzung um »Sterbehilfe« und Patientenverfügungen.

Als der Deutsche Bundestag am 26. Juni über den Gesetzentwurf zu Patientenverfügungen beriet, stellte sein Mentor Joachim Stünker (SPD) ein vermeintliches Faktum fest: »9 bis 10 Millionen Menschen in unserem Land haben bereits eine Patientenverfügung verfasst.« Stünker, im Zivilberuf Richter auf Lebenszeit, schlussfolgerte: »Diese Menschen wollen, dass ihr Wille im Hinblick auf das Lebensende bindend beachtet wird.« Und auch Luc Jochimsen, früher Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks, heute Linkspartei-Abgeordnete und Mitunterzeichnerin des Stünker-Entwurfs, argumentierte mit einer großen Zahl: »Es wird geschätzt, dass mehr als acht Millionen Bürgerinnern und Bürger diese Willenserklärung bereits verfasst haben.«

Die Quellen ihrer Zahlen nannten beide nicht: weder Stünker, dessen Worte den Eindruck erweckten, er referiere eine nachprüfbare Tatsache, noch Jochimsen, deren Formulierung immerhin erkennen ließ, dass sie sich auf eine – nicht näher – erläuterte Schätzung bezog. Fest steht: Niemand weiß wirklich, wie viele Patientenverfügungen hierzulande verfasst wurden, eine zentrale Registrierung gibt es nicht. Und: Patientenverfügungen und Absichten der Menschen, die sie unterschrieben haben, in ein und denselben statistischen Topf zu werfen, ist schon deshalb unseriös, weil Verbindlichlichkeit und Reichweite der Voraberklärungen auf Therapieverzicht bekanntlich umstritten sind.

Diese demoskopisch ermittelte, aber keineswegs gezählte Zahl von Patientenverfügungen ist offensichtlich in vielen (Medien-)Archiven gespeichert.

Tatsache ist aber auch: Ähnliche Zahlen und Prozente zu Patientenverfügungen geistern seit Jahren durch Medien, Parlamente und Verlautbarungen der Sterbehilfe-Lobby. Einen Ausgangspunkt haben sie in Meinungsumfragen, veranlasst von der Deutschen Hospiz Stiftung (DHS), deren Öffentlichkeitsarbeit pro Patientenverfügung viele PolitikerInnen und JournalistInnen offensichtlich glaubwürdig finden. Die DHS hatte das Institut TNS Infratest beauftragt, 1.000 Menschen repräsentativ auszuwählen und im September 2005 telefonisch zu interviewen. Die Frage: »Haben Sie schon eine Patientenverfügung verfasst?« bejahten 14 Prozent der Angerufenen. Die DHS rechnete hoch und folgerte: »8,6 Millionen« der über 18-Jährigen besitzen eine Patientenverfügung.

Diese demoskopisch ermittelte, aber keineswegs gezählte Zahl von Patientenverfügungen ist offensichtlich in vielen (Medien-)Archiven gespeichert, und ihre ständige Wiederholung dürfte – eher unauffällig – bewirken, dass sie sich in vielen Köpfen als reale, nachgeprüfte Zahl festsetzt.

Das Institut für Demoskopie hat »Einstellungen zur aktiven und passiven Sterbehilfe« der deutschen Bevölkerung erforscht. Befragt wurden 1.786 Personen.

Spektakulärer noch kommt eine andere Umfrage daher. »Einstellungen zur aktiven und passiven Sterbehilfe« in Deutschland will das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) repräsentativ herausgefunden haben. Zwischen dem 7. und 17. Juli 2008 befragten die MeinungsforscherInnen vom Bodensee 1.786 BundesbürgerInnen ab 16 Jahren. Als Anlass nannte das IfD eine »neue Diskussion« zur aktiven Sterbehilfe in der Öffentlichkeit. Entstanden sei sie, nachdem der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch Ende Juni medienwirksam erklärt hatte, er persönlich habe einer 79-jährigen Rentnerin Beihilfe bei der Selbsttötung geleistet.

Allensbach formulierte folgende Frage: »Zurzeit wird ja viel über aktive Sterbehilfe diskutiert. Das bedeutet, dass man das Leben schwerkranker Menschen, die keine Chance mehr zum Überleben haben und große Schmerzen erdulden müssen, auf deren eigenen Wunsch hin beendet. Sind Sie für oder gegen die aktive Sterbehilfe?« 58 Prozent der 1.786 Befragten sagten laut IfD, sie seien dafür, 19 Prozent äußerten sich dagegen. Resümee von Allensbach: »Anders als die meisten Sprecher von Ärzteverbänden und Parteien« stehe die Mehrheit der deutschen Bevölkerung der aktiven Sterbehilfe »positiv gegenüber«, wenn ein unheilbar Kranker dies wünsche.

Botschaft und Prozente verbreiteten sich flugs via Nachrichtenagenturen und Medien. Unter den LeserInnen gab es erfreulicherweise auch solche, die sich bei diesem brisanten Thema nicht damit begnügten, das Ergebnis einfach nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern sich auch die Methodik mal näher anschauten. Ein »verzerrtes Bild der Realität« zeichne die IfD-Umfrage, die Fragen seien »suggestiv«, kritisierten übereinstimmend die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes in einer gemeinsamen Pressemitteilung. Die Frageformulierung, die ja eigens auf das Erdulden »großer Schmerzen« verweist, blende die Existenz von Schmerztherapie und Palliativmedizin komplett aus. Sie »schürt damit ungerechtfertigte Ängste«, meinen die beiden Fachgesellschaften und erklären, dass es ÄrztInnen ihrer Disziplinen heutzutage »fast immer« möglich sei, »die Schmerzen und Symptome sterbender Patienten zu lindern«.

Was versteht man eigentlich unter einer »lebensverlängernden Maßnahme«?

Zu bemängeln wäre am methodischen Vorgehen von Allensbach aber noch mehr: Wie realistisch ist eigentlich die vorgegebene Formulierung »keine Chance mehr zum Überleben haben«? Ähnlich suggestiv und auch nebulös ist die zweite Frage, die das Meinungsforschungsinstitut gestellt hat, Thema: Pro und Kontra »passive Sterbehilfe«. Diesen Begriff definierte das IfD so: »Das bedeutet, dass der Arzt lebensverlängernde Maßnahmen einstellt, wenn der Patient ausdrücklich erklärt, dass er das wünscht.« 72 Prozent »in der Bevölkerung« sind, gemäß Zählung von Allensbach, dafür.

Anzunehmen, dass auch diese Prozentzahl in den nächsten Monaten im Bundestag und anderso zitiert wird. Als Argument pro Patientenverfügung, die ja erst dann zu Rate gezogen werden soll, wenn der Verfasser nicht mehr in der Lage ist, sich in der aktuellen Krankheitssituation zu äußern, kann man dieses Allensbach-Ergebnis aber nicht wirklich anführen. Denn die Frageformulierung des IfD besagt ja, dass der Patient seinen Wunsch zum Einstellen der Therapie »ausdrücklich erklärt« – dem Wortlaut nach bezieht sich diese Frage also gerade nicht auf eine Vorausverfügung. Abgesehen davon wäre ein fragwürdiger, makabrer Begriff zu erklären: Was versteht man eigentlich unter einer »lebensverlängernden Maßnahme«?

© Klaus-Peter Görlitzer, 2008
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