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Keine Antworten, guter Beschluss

Im März 2011 bekamen alle Landesärztekammern Post von BioSkop und der Hospizvereinigung OMEGA: »Keine ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung!« forderten die Absender und begründeten dies in einer gemeinsamen Stellungnahme. Anlass für den Appell waren die reformierten, am 17. Februar veröffentlichten Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK) zur ärztlichen Sterbebegleitung (Siehe BIOSKOP Nr. 53), laut denen Suizid-Beihilfe für PatientInnen nicht mehr dem Ethos von MedizinerInnen widersprechen soll.

Geantwortet hat zwar keine Ärztekammer, aber hinter den Kulissen gab es reichlich Bewegung. Am 26. März sprach sich die hessische Landesärztekammer öffentlich gegen die vom BÄK-Vorstand im Februar erstmals offiziell gebilligte Suizid-Unterstützung aus, eine Woche später tat dies auch die Ärztekammer Westfalen-Lippe. Am 1. Juni beschlossen dann die meisten DelegiertInnen des Deutschen Ärztetages, Beihilfe zur Selbsttötung in der (Muster-)Berufsordnung ausdrücklich zu verbieten.

Ausgezeichnet

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) fordert ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung und, als »Ultissima Ratio«, auch aktive direkte Sterbehilfe straffrei zuzulassen. Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit versucht die DGHS insbesondere, Medien für sich einzunehmen. Als Instrument, das JournalistInnen motivieren soll, über »Selbstbestimmung am Lebensende« zu schreiben und zu senden, hat sich die DGHS den Arthur-Koestler-Preis ausgedacht. Die Auszeichnung, derzeit dotiert mit 5.000 Euro, wird jedes Jahr vergeben – laut DGHS für »herausragende Beiträge« in Presse, Hörfunk und TV.

Zu den seit 2001 Geehrten gehören JournalistInnen diverser einflussreicher Medien, darunter Richard Herzinger und Martin Spiewak von der ZEIT und Beate Lakotta vom SPIEGEL. Im November 2010 vergab die DGHS außerdem einen Sonderpreis: »Die goldene Lebensuhr« erhielt der Berliner Chefarzt Michael de Ridder für sein Buch »Wie wollen wir sterben?« In ihrer Laudatio auf de Ridder, der seit Jahren für ärztliche Suizidbeihilfe plädiert, freute sich DGHS-Präsidentin Elke Baezner: »Nicht nur in unseren eigenen Reihen, sondern auch in den Medien hat Ihre Insider-Sicht als Notfall-Arzt eine ungeheure öffentliche Debatte ausgelöst.«

De Ridder bedankte sich sehr, für ihn sei der DGHS-Preis eine »Ermutigung, auf einem Weg weiterzugehen, der nicht immer ganz leicht ist«. Als Vorsitzende der Jury fungierte übrigens die – bereits 2009 von der DGHS ausgezeichnete – _SPIEGEL_-Redakteurin Beate Lakotta.*




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Notwendige Klarstellung

  • Ärztetag stimmt gegen die Beihilfe zur Selbsttötung – Euthanasielobby setzt weiter auf richterlichen Beistand

aus: BIOSKOP Nr. 54, Juni 2011, Seiten 8+9

Dieser Beschluss des Deutschen Ärztetages lässt keinen Raum für Interpretationen: »Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.« Nun sind die Landesärztekammern aufgerufen, die notwendige Klarstellung zügig in ihre Berufsordnungen zu übernehmen. Die Positionierung der Ärzteschaft, die vor Monaten überhaupt nicht absehbar war, hat Euthanasie-BefürworterInnen etwas gebremst. Sie werden aber sicher weiter versuchen, ihre Ziele zu erreichen – und setzen auf höchstrichterliche Hilfe.

Rückblickend würde man gern wissen: Was hatte Jörg-Dietrich Hoppe eigentlich im Hinterkopf, als er am 17. Februar 2011 in Berlin vor die Presse trat? Der langjährige Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) präsentierte eine neue Version der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung. In dem Papier, das MedizinerInnen ethische Orientierung geben soll, steckt viel Bedenkliches – und ein radikaler Kurswechsel: Gestrichen hatte der BÄK-Vorstand den Grundsatz, dass es dem ärztlichen Ethos widerspreche, wenn ein Arzt bei der Selbsttötung eines Patienten mitwirkt. Statt dessen stellt die reformierte Fassung nur fest, Suizidbeihilfe sei »keine ärztliche Aufgabe« (Siehe BIOSKOP Nr. 53).

  • Kalkül aufgegangen?

Wollte der Rheinländer Hoppe (70), der seit über 30 Jahren Berufspolitik macht, wirklich das Ethos seines Berufsstandes radikal verändert sehen – der Arzt also nicht mehr nur als Heiler, sondern auch als legitimer Sterbehelfer? Oder haben Hoppe und seine Berater die Grundsätze zur Sterbebegleitung, die erfahrungsgemäß politisch wirksam sind, aber Ärzte rechtlich nicht binden, bewusst so umformuliert, dass sie geradezu wachrütteln müssen: vor allem viele in der Ärzteschaft, die seit Mitte der 1990-er Jahre ja einige Schritte in Richtung Euthanasie (Stichwort: tödlicher Abbruch von Therapien und Ernährung bei Menschen, die überhaupt nicht im Sterben liegen) ohne großen Widerstand mitgegangen ist.

In den Kopf des Pathologen Hoppe, den viele JournalistInnen regelmäßig als Wertkonservativen darstellen, kann man nicht hineinschauen. Sollte er, kurz vor seinem lange angekündigten Abgang als Ärztepräsident, mit der Grundsätze-Reform einen Aufstand im Ärztestand provoziert haben wollen, der mit einer deutlichen, Grenzziehung befriedet wird? Wenn dies das Kalkül Hoppes (und weiterer BÄK-Vorständler) war, dann ist es letztlich aufgegangen.

Zunächst hatte die BÄK verhaltenen Beifall von Euthanasie-Lobbyisten geerntet. Die neuen Grundsätze, meinte etwa die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), seien »ein Schritt hin zu mehr Humanität«. Widerstand ließ auf sich warten, BioSkop und die Hospizvereinigung OMEGA gehörten zu den ersten, die den BÄK-Vorstand öffentlich aufforderten, die Billigung der Suizid-Beihilfe zurückzunehmen. Ab Ende März wurde dann Gegenwehr auch aus Medizinerkreisen bekannt, als Vorreiter erwiesen sich die Ärztekammern Hessen und Westfalen-Lippe.

  • Ökonomischer Druck

Es folgten heftige Töne aus der Deutschen Krebsgesellschaft; deren Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie forderte Anfang April die »Revision« der Grundsätze. Im Namen der AG warnte Professor Ulrich Kleeberg in einem Brief an Hoppe und KollegInnen, die BÄK-Grundsätze stellten ein »fatales Einfallstor für Bewertungen menschlichen Lebens nach ökonomischen Gesichtspunkten« dar. Der Druck insbesondere auf KrebsmedizinerInnen werde zunehmen, denn »immer häufiger« würden sie sich »vor die Entscheidung gestellt sehen, einem Leben mit Leiden ein Ende zu bereiten«, schrieb Kleeberg.

Am 10. Mai – tags zuvor hatte gerade der Deutsche Hospiz- und Palliativverband ärztliche Suizidbeihilfe per Resolution abgelehnt – veröffentlichte die Pressestelle der BÄK eine überraschende Mitteilung ihres Präsidenten. Jörg-Dietrich Hoppe kündigte an, der BÄK-Vorstand werde im Juni beim Ärztetag beantragen, die (Muster-)Berufsordnung (MBO) zu ändern. Deren künftiger § 16 werde ärztliche Beihilfe zum Suizid verbieten – erstmals und ausdrücklich. Damit konkretisiere die BÄK nur, was in ihren kritisierten Grundsätzen inhaltlich schon drin stehe, hieß es.

Hoppes Logik konnten viele BeobachterInnen zwar nicht nachvollziehen. Aber seine Ankündigung provozierte reichlich Schlagzeilen. Insbesondere diejenigen JournalistInnen angesehener Medien, die ärztliche Unterstützung beim Suizid in Ordnung finden, legten sich kräftig ins Zeug. Zum Beispiel Harro Albrecht von der Wochenzeitung DIE ZEIT, am 26. Mai orakelte er: »Die Verlierer des Ärztetages werden jene Mitglieder der Zunft sein, die sich vorstellen können, aus Mitgefühl Sterbehilfe zu leisten.« Und es seien »nicht wenige”«, denen die BÄK, »gegen ihre Willen strikte Zurückhaltung verordnen will«.

  • Landesärztekammern am Zug

Am 1. Juni, einen Tag nach Hoppes letzter Rede als BÄK-Chef (sein gewählter Nachfolger ist der Hamburger Radiologe Frank Ulrich Montgomery), wurde beim Deutschen Ärztetag in Kiel dann abgestimmt. 166 DelegiertInnen folgten dem Antrag des BÄK-Vorstands für die Änderung des § 16 MBO, 56 stimmten dagegen, 7 enthielten sich.

Vorausgegangen waren eine mehrstündige Debatte sowie ein kurzer Vortrag von Professor Georg Maschmeyer. Der Potsdamer Palliativmediziner schilderte Erfahrungen mit verzweifelten Schwerkranken, die äußern, lieber tot sein zu wollen, als weiterhin Schmerzen, Luftnot, Schwäche, Angst zu ertragen; hinzu komme oft noch eine »Überforderung des sozialen Umfeldes«. Aber auch bei solchen PatientInnen könne der Wunsch zu leben »innerhalb von Stunden wieder ganz im Vordergrund« stehen, wenn ihre Leiden effektiv bekämpft würden, erklärte Maschmeyer.

Welche praktischen Wirkungen der Mehrheitsbeschluss von Kiel tatsächlich zeitigen wird, sollte sich zunächst auf Ebene der 16 Landesärztekammern zeigen. Denn das Verbot der Suizidbeihilfe ist für MedizinerInnen erst dann verbindlich und sanktionierbar, wenn es in den jeweiligen Landesberufsordnungen steht; also sollte man genau beobachten, ob und wie schnell die einzelnen Ärztekammern hier handeln.

Anzunehmen ist aber auch: MedizinerInnen, die »Sterbehilfe« legitim finden, werden sich durch berufsrechtliche Vorgaben wohl kaum abschrecken lassen. Würden Verstöße nachgewiesen, bedeute dies »weder automatisch noch regelmäßig, dass die Approbation entzogen wird«, erläuterte der Rechtsprofessor Winfried Kluth (Halle) in einem Kommentar zur Entscheidung des Ärztetages. Wenn Berufsgerichte Verstöße ahnden, dann in der Regel mit Rügen und Geldstrafen; der Entzug der ärztlichen Zulassung komme »nach gängiger Praxis« erst dann in Frage, wenn ein Arzt »langanhaltend in gravierender Weise gegen seine Berufspflichten verstoßen hat«.

  • Nachdenklicher Gesetzgeber?

Zuständig für Verleihung und Entzug der Approbation sind die Aufsichtsbehörden, »klassischerweise die Gesundheitsministerien der Länder«, erläutert Kluth. Dass die – strafrechtlich nicht verbotene – Suizidassistenz »in einem Einzelfall« mit einem Verbot der ärztlichen Berufsausübung bestraft würde, ist auch für den sterbehilfe-kritischen Rechtsanwalt und _FAZ_-Biopolitik-Blogger Oliver Tolmein (Hamburg) »nur schwer vorstellbar«.

Angesichts solcher rechtlichen Einschätzungen und verbreiteter Unterversorgung in Pflege und Kliniken, sollte die Politik ernsthaft darüber nachdenken, ob die strafrechtliche Liberalität in punkto Suizidbeihilfe überhaupt noch in die heutige Zeit passt, deren sozialpolitisch rauhe Rahmenbedingungen persönliche Selbstbestimmung, zumal von Schwerkranken, erfahrungsgemäß oft behindern. Wem würde es eigentlich schaden, wenn der Gesetzgeber es allen im Gesundheitswesen Arbeitenden – ÄrztInnen, Pflegekräften, ApothekerInnen etc. – bei Androhung von Strafe untersagen würde, Menschen bei der Selbsttötung zu unterstützen? Dies ist eine gesellschaftliche, im Kern auch soziale Frage – nicht nur eine ethische und berufsständische.

Ein Verbot im Strafgesetzbuch würde es zumindest erschweren, in medizinischen Einrichtungen unter der Hand Strukturen und Kulturen von Suizidbeihilfe zu etablieren. Das Für und Wider einer solchen Reform sollte gesellschaftlich diskutiert werden, bevor Juristen mit Sendungsbewusstsein versuchen, einen speziellen, tragischen Einzelfall zu benutzen, um für alle wirksame Fakten herbeizuführen. Folgt man den Andeutungen des offenbar gut informierten _ZEIT_-Journalisten Harro Albrecht, so steht ein Berliner Chefarzt bereits in den Startlöchern. Die Rede ist von Michael de Ridder, der auch Mitglied im Kuratorium des Humanistischen Verbandes ist und seit Jahren den ärztlich assistierten Suizid öffentlich befürwortet.

  • Prozessvorbereitungen?

In seinem Artikel »Dem Gewissen folgen«, publiziert kurz vor dem Kieler Ärztetag, berichtet Albrecht, dass de Ridder seit eineinhalb Jahren die 42-jährige Katharina S. begleite. Sie sei vom Kinn abwärts gelähmt und habe wiederholt »angedeutet«, dass sie Hilfe zum Suizid wünsche. Albrecht schreibt, Chefarzt de Ridder habe seiner Patientin versprochen, dass er sie nicht verlassen und ihr helfen werde. Weitere Details nennen weder der Mediziner noch der Journalist, aber Albrecht wagt schon mal einen Blick in die Zukunft: »Sollte es später – vielleicht im Fall von Frau S. – hart auf hart kommen, dann wird der Arzt möglicherweise vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.«

Einen »Partner« dafür soll de Ridder schon haben: Wolfgang Putz, Rechtsanwalt aus München. Das darf man getrost glauben, zumal dieser Jurist schon manchen Richter unglaublich beeindruckt hat. 2010 gelang es Putz tatsächlich, den Bundesgerichtshof davon zu überzeugen, dass das Durchschneiden eines Magensonden-Schlauches bei einer nichteinwilligungsfähigen Kranken zulässig sein soll, sofern sie tatsächlich oder mutmaßlich einverstanden sei. Seit diesem BGH-Spruch gelten in Deutschland auch aktive Taten, die den Tod des Patienten bewirken, als juristisch zulässige passive Sterbehilfe.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2011
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