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DNA-Sammelwut stoppen!

BioSkop unterstützt die Kampagne des Gen-ethischen Netzwerkes

Justizministerin wachrütteln!

»DNA-Sammelwut stoppen!« steht über dem offenen Brief, den AktivistInnen des Gen-ethischen Netzwerkes am 23. Mai im Bundesjustizministerium abgegeben haben. Zu den ErstunterzeichnerInnen gehören zahlreiche Organisationen, darunter auch BioSkop.

Noch viel mehr UnterstützerInnen sind notwendig. Denn die liberale Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die gern über BürgerInnenrechte redet, ist bisher stumm geblieben.*

Die wichtigsten Forderungen im Überblick:

- Wir fordern eine Revision des Gesetzes, die die polizeiliche Erstellung und Speicherung von DNA-Profilen in enge Schranken verweist!

- Wir fordern eine unabhängige, funktionierende Kontrolle der Polizei und verbindliche Vorschriften zur Löschung der Datensätze, deren Einhaltung regelmäßig von unabhängiger Seite überprüft wird!

- Wir fordern eine enge Regelung, die Rückschlüsse auf körperliche Eigenschaften aus DNA-Proben im Rahmen polizeilicher Ermittlungen nachhaltig verhindert!

- Wir fordern einen sofortigen Stopp von Projekten des internationalen Datenaustausches wie zum Beispiel des Abkommens über einen transatlantischen Datenaustausch mit den USA!




UTA WAGENMANN, Soziologin, aktiv im Gen-ethischen Netzwerk

Drastische Expansion

  • Kampagne des Gen-ethisches Netzwerkes warnt vor internationaler Vernetzung polizeilicher DNA-Sammlungen

aus: BIOSKOP Nr. 55, September 2011, Seiten 12+13

DNA-Datenbanken der Polizei wachsen überall in Europa stetig an. Zudem werden die nationalen Datenbestände – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – miteinander vernetzt. Bis 2014 ist außerdem der Datenabgleich mit »sicheren Drittstaaten« wie den USA geplant. Gründe genug für das Gen-ethische Netzwerk (GeN), mit einer Kampagne auf die polizeiliche DNA-Sammelwut aufmerksam zu machen.

Den erschreckenden Rekord hält die DNA-Datenbank der britischen Polizei mit über sechs Millionen Personendatensätzen. In Großbritannien sind damit die DNA-Profile von etwa zehn Prozent der Bevölkerung gespeichert. Aber auch die 1998 beim deutschen Bundeskriminalamt (BKA) eingerichtete DNA-Datenbank hat es in sich: Im Juni 2011 umfasste sie 921.657 DNA-Profile, davon über 730.000 Personendatensätze. Der Rest sind DNA-Profile, die aus Spuren gewonnen wurden. Und jeden Monat kommen über 8.000 neue DNA-Profile hinzu.

Diese drastische Expansion ist keinesfalls einer plötzlichen Zunahme schwerer Verbrechen geschuldet. Im Gegenteil: Entgegen der verbreiteten Annahme geht es nur selten um Mord oder Vergewaltigung, wenn der »genetische Fingerabdruck« erfasst wird. Anlass sind in der Regel vielmehr Bagatelldelikte, zum Beispiel Einbruch oder Diebstahl. Besonders gern nimmt die Polizei so genannte politisch motivierte Straftaten zum Anlass, um das DNA-Profil Beschuldigter zu speichern, etwa im Zusammenhang mit Demonstrationen. Die Speicherung der sensiblen Daten – wir alle hinterlassen überall Spuren wie Haare oder Hautschuppen, die DNA enthalten – dient also nicht so sehr dem Aufklären von Kapitalverbrechen, sondern vorrangig der präventiven Erfassung möglichst vieler Menschen.

Möglich geworden ist das vor allem durch eine Gesetzesänderung von 2005, die es der Polizei deutlich erleichtert hat, Blut- oder Speichelproben zu entnehmen und das daraus gewonnene DNA-Profil zu speichern. War bis dahin der Verdacht einer schweren Straftat Voraussetzung für die DNA-Profilanalyse und die Speicherung der Daten, erlaubt das heute geltende Gesetz die Speicherung auch schon dann, wenn ein Delikt als Wiederholungstat deklariert wird.

Untersuchungen von Datenschutzbeauftragten haben jedenfalls ergeben,dass Polizeibehörden bei weit mehr als 90 Prozent der DNA-Entnahmen auf diese Weise eine richterliche Anordnung umgehen.

Zudem sind DNA-Analyse und Speicherung sogar ohne richterliche Anordnung möglich, wenn die Betroffenen »freiwillig« zustimmen. Doch wie frei können Menschen nach einer Festnahme oder in Verhörsituationen überhaupt entscheiden, wenn sie zur Abgabe einer Speichelprobe aufgefordert werden? Untersuchungen von Datenschutzbeauftragten haben jedenfalls ergeben, dass Polizeibehörden bei weit mehr als 90 Prozent der DNA-Entnahmen auf diese Weise eine richterliche Anordnung umgehen.

Ergänzt wird diese Aushöhlung rechtsstaatlicher Grundsätze durch den so genannten Prüm-Prozess; das weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit zwischen den EU-Staaten geschlossene Abkommen sieht eine tiefgehende Vernetzung der in Europa existierenden polizeilichen Datenbanken vor. Der Abgleich der DNA-Daten zwischen den EU-Staaten sollte eigentlich ab Ende August 2011 möglich sein. Dieser Termin konnte zwar nicht eingehalten werden, an der Lösung der organisatorischen und methodischen Probleme wird jedoch intensiv gearbeitet. Aber nicht nur der gigantische Aufwand für eine gemeinsame Nutzung der europaweit gespeicherten Datensätze bleibt der Öffentlichkeit verborgen, sondern auch der Plan für einen Datenabgleich mit so genannten sicheren Drittstaaten und für den Aufbau einer transatlantischen Kartei von »travelling violent offenders« (grenzüberschreitenden Gewalttätern).

Um polizeilicher Sammelwut und staatenübergreifendem Überwachungswahn etwas entgegen zu setzen, hat das Gen-ethische Netzwerk im Mai eine Kampagne gestartet. Wir verfassten einen offenen Brief an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, informierten auf zwei Veranstaltungen über Praxis und Planungen rund um die DNA-Profilanalyse, verteilten auf Märkten, Straßen und Plätzen Informationsmaterialien und diskutierten mit PassantInnen, und unsere Internetseite www.fingerwegvonmeinerdna.de liefert Aktuelles und Hintergründe. Auch trafen wir den Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix, mit dem wir die Vielzahl der Bedenken gegen die Expansion der DNA-Datenbank beim BKA ausführlich erörterten. Mit unserer Bitte um Unterstützung rannten wir bei ihm offene Türen ein: Dix hält unsere Forderungen für dringlich und wird das Thema deshalb auf der Konferenz der Landesdatenschutzbeauftragten Ende September in München zur Sprache bringen.

Ein Wattestäbchen ist sogar ganz ausgestiegen
aus dem Polizeidienst.

Außerdem mobilisierten wir zum Auftakt der Kampagne mehr als 14.000 Wattestäbchen, die mit unserer Hilfe vor dem Eingang des Bundesjustizministeriums den Slogan der Kampagne formten: »DNA-Sammelwut stoppen!« Damit demonstrierten sie, dass sie zu sehr viel Schönerem und Sinnvollerem in der Lage sind als ihre KollegInnen, die im Dienst forensischer Labore stehen und für die Polizei Speichel von Menschen sammeln.

Eines dieser Wattestäbchen ist sogar ganz ausgestiegen aus dem Polizeidienst: Willi Watte, Maskottchen der Kampagne und derzeit wohl politisch aktivstes Wattestäbchen der Bundesrepublik, begleitete nahezu alle Aktionen mit Energie und Engagement und ergriff nicht selten selbst Initiative. So besuchte Watte beispielsweise eine Tagung, auf der es die Bundesjustizministerin persönlich ansprach – wenn auch ohne nennenswerten Erfolg. Auch geleitete es eine Armada von Wattestäbchen und einige FreundInnen vom GeN zur Berliner Nebenstelle des BKA, und es gelang ihnen gemeinsam tatsächlich, den Gebäudekomplex zu umzingeln. Das allerdings blieb nicht ohne Folgen: Watte und seine FreundInnen wurden nach der erfolgreichen symbolischen Aktion von der Polizei bereits erwartet, ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ist eröffnet.

Ob die AktivistInnen wohl DNA-Proben werden abgeben müssen? WiederholungstäterInnen jedenfalls sind und bleiben sie – so lange, bis die DNA-Sammelwut der Polizei gestoppt ist, hier und anderswo.

© Uta Wagenmann, 2011
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