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URSULA WALTER, Psychologin und Psychoanalytikerin

20 Jahre lang Versuchsperson

  • Psychologische, neurologische, genetische Tests – Baseler Forscher starten ihr maßloses SESAM-Projekt

aus: BIOSKOP Nr. 32, Dezember 2005, Seiten 14+15

In der Schweiz gibt es einen beispiellosen »Nationalen Forschungsschwerpunkt«: Baseler Psychologen wollen 3.000 Menschen zwanzig Jahre lang kontinuierlich untersuchen – mit psychologischen, neurologischen und genetischen Tests. Das Vorhaben namens SESAM ordnet sich in die Versuche ein, menschliches Verhalten technisch zu kontrollieren.

SESAM steht für »Schweizerische ätiologische Studie zu Entwicklung und seelischer Gesundheit«. Psychologieprofessor Jürgen Margraf von der Universität Basel will im kommenden Jahr 3.000 Versuchspersonen zum Mitmachen bewegen, gesucht wird nach werdenden Eltern. Denn bereits in der zwölften Schwangerschaftswoche sollen die Tests am Ungeborenen starten und bis zum 20. Lebensjahr fortgesetzt werden. Neben Kindern, Müttern und Vätern sollen auch Großeltern in die psychologischen, neurologischen und genetischen Forschungen einbezogen werden; Daten von mehr als 15.000 Menschen könnten so gesammelt werden.

Die Baseler PsychologInnen kooperieren mit ForscherInnen im In- und Ausland, aus Deutschland sind die Universitäten Düsseldorf und Trier dabei. Projektdetails wollen die beteiligten ForscherInnen aber bislang nicht verraten.

  • Medikamente und Verhaltenstraining

Grundsätzlich soll SESAM Aufschluss darüber geben, welche Verhaltensmerkmale erlernt und welche genetisch bedingt sein sollen. Davon verspricht man sich, die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft durch gezielte Behandlung, etwa mit Verhaltenstraining und Medikamenten, nachhaltig zu sichern. Im März wurde SESAM für vorerst vier Jahre zum Schwerpunktprogramm des Schweizerischen Nationalfonds erklärt, jährliche Kosten: rund sechs Millionen Franken. Die Uni Basel muss pro Jahr 1,2 Millionen Franken beitragen. Die Baseler Pharmakonzerne Roche und Novartis haben ihre finanzielle Beteiligung zugesagt.

Depressionen und Angststörungen nehmen weltweit bald den ersten Platz unter den Gesundheitsstörungen ein. Das Projekt verspricht, von der vorgeburtlichen Entwicklung bis ins Erwachsenenalter genügend Daten zu sammeln, um statistisch gesicherte Daten zu haben und zu wissen, welche biologischen, genetischen und sozialen Faktoren in welcher Kombination für welche psychischen Störungen verantwortlich seien. Damit könne auch Prävention und Behandlung gezielt eingesetzt werden.

  • Funktionale Menschen

SESAM zu stoppen fordert der Basler Appell gegen Gentechnologie in einer Petition an die Kantonale Ethikkommission. Ethisch heikle Fragen stellen sich reichlich. Wie eigentlich sollen »besonders schützenswerte Individuen«, nämlich die noch ungeborenen Versuchspersonen, in ihrer Würde und ihren Rechten geschützt werden? Zudem ist zu fragen, wie und mit welcher Information welche Daten erhoben werden und wer über ihre spätere Verwendung entscheidet? Und wie ist bei den vorgesehenen Genanalysen das gesetzliche Recht auf Wissen und auf Nicht-Wissen einzuhalten?

Das Projekt SESAM ordnet sich in die Versuche ein, menschliches Leben und Verhalten technisch zu kontrollieren und in einem einseitigen Wissenschaftsverständnis nur als von außen definierten Gegenstand, als ausschließliches Objekt von messbaren Einflüssen, zu bestimmen. Geistige Einflüsse, Kultur, Bindungen und eigener Wille sind in diesem Menschenbild nicht mehr vorgesehen. Ziel sind funktionale Menschen in einem funktionalen System. Es wird der Anspruch erhoben, die Ursache psychischer Störungen früh zu erkennen und zu behandeln. Mittel sind Messungen und nochmals Messungen. Die Behandlung besteht gemäß dem therapeutischen Ansatz der Klinischen Psychologen in Basel vermutlich aus Konditionierung und chemischer Intervention.

Auf diesem Wissenschaftsverständnis beruht zum Beispiel eine absurde Meldung, die im Juni dieses Jahres durch die Medien ging. Zwei Zürcher Forscher, der Psychologe Markus Heinrichs und der Wirtschaftswissenschaftler Hans Fehr, hätten gezeigt, wie »Vertrauen« gebildet wird. Für Vertrauen verantwortlich sei ein Hormon im Gehirn, das als Nasenspray angewendet werden kann. »So können gemäss den Forschern Sozialphobien behandelt werden«, berichtete die Presse.

  • Margrafs Macht

SESAM ist im Zusammenhang mit dem Aufbau der Life-Sciences in der Region Basel zu verstehen. Professor Margraf hat seine Position zwischen den Instanzen gekonnt etabliert: Die Psychologie als eigene Fakultät gibt ihm im Rahmen der Universität viel Gewicht und wenig Kontrolle. An der Psychiatrischen Uniklinik ist er mit der klinischen Psychologie, die er vertritt, in der Forschung an spezifischen Störungen (Ängste, Zwangskrankheiten) fest verankert. Als »neutraler Experte« übernimmt er Aufträge des Bundesamts für Gesundheit, zurzeit bei einer Kosten-Nutzen-Studie zur Psychotherapie. Diese wird eine der Grundlagen zur kommenden Diskussion über die Kassenzulässigkeit der Psychotherapie in der Schweiz bieten. Kontakte zu KollegInnen in Deutschland hielt Margraf jahrelang im Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, deren Mitglieder von den deutschen Standesorganisationen Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer berufen werden.

SESAM zu befragen ist Pflicht für alle, die unter sozialer Medizin und sozialem Gesundheitswesen etwas anderes verstehen, als eine statistisch diktierte Funktionalität einer Gesellschaft mit allen erprobten Mitteln totalitärer Herrschaft: Erfassen von Abweichungen, Umkonditionieren, chemische Beeinflussung – und sonst Ausschluss. Eugenik lässt grüssen.

© Ursula Walter, 2005
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