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»Belastung für die Gesundheitssysteme«

»Chronische Krankheiten sind eine immer größer werdende Belastung für die Gesundheitssysteme und stellen auch die Gesundheitsforschung vor neue Herausforderungen. Gerade bei Krankheiten mit vielen Ursachen wie zum Beispiel Lebensgewohnheiten, Umwelteinflüsse und angeborenen Risikofaktoren können mit solchen Kohorten neue Strategien zur Früherkennung und Prävention entwickelt werden.«

Einschätzungen von Professor Jürgen Mlynek. Der Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft äußerte sich am 22. Oktober 2008 in einer Pressemitteilung, mit der Deutschlands größte Wissenschaftsorganisation (Jahresbudget: 2,4 Milliarden Euro) bekanntgab, sie werde binnen fünf Jahren »rund 20 Millionen Euro für den Aufbau einer groß angelegten Langzeit-Kohorte investieren«.



UTA WAGENMANN, Soziologin, aktiv im Gen-ethischen Netzwerk

200.000 Freiwillige gesucht

  • Krebsforschungszentrum und Helmholtz-Zentrum wollen Deutschlands größte Biomaterialbank aufbauen

aus: BIOSKOP Nr. 44, Dezember 2008, Seiten 12+13

Dieser Biobanken-Plan ist hierzulande ohne Beispiel: Ab 2012 sollen medizinische Daten und Proben von 200.000 Freiwilligen aus ganz Deutschland zentral gesammelt und gespeichert werden. Die Vorbereitungen starten im Januar 2009 – Politik und Öffentlichkeit haben das bisher offensichtlich nicht mitgekriegt.

Der Name für die projektierte Biobank klingt eher unscheinbar: »Helmholtz-Kohorte« (HK). Das epidemiologische Großprojekt, initiiert von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, will über Jahrzehnte mindestens 200.000 Menschen beobachten, die repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sein sollen. Was dabei ermittelt werden soll, skizzieren die Organisatoren in einer Pressemitteilung: »chronische Erkrankungsrisiken in Bezug auf den Lebensstil, psychosoziale Faktoren, umweltbedingte Belastungen und Stoffwechselmarker – alleine oder im Zusammenspiel mit individuellen genetischen Risikofaktoren«. Geschätzte 100 bis 200 Millionen Euro soll das Projekt binnen zehn Jahren kosten, eine Finanzierung vom Bund und damit aus Steuergeldern wird erwartet.

Nach etwa dreijähriger Vorbereitungsphase soll die »Rekrutierung« in mehreren Regionen der Bundesrepublik starten – gesucht werden zehntausende, gesunde Freiwillige. Gesammelt werden neben Blut- und Urinproben auch Daten zur Ernährung, zum Lebenswandel und zum sozialen Hintergrund der ProbandInnen. Dabei ist die HK als nationales Kooperationsprojekt konzipiert: Unter Federführung des Helmholtz-Zentrums München Gesundheit und Umwelt (HMGU) und des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg (DKFZ) soll die populationsweite Biobank »gemeinsam mit Universitäten und anderen nationalen Forschungseinrichtungen geplant und durchgeführt werden«.

  • Auf Erkrankungen warten

Potenzielle ForscherInnen brauchen allerdings Geduld. 10 bis 20 Jahre soll es dauern, bis die erfassten Daten der Biobank für konkrete Forschungsprojekte nutzbar sind – sinnvoll sei dies nämlich erst, wenn Krankheiten unter den TeilnehmerInnen auftreten. »Das ist die Idee einer prospektiven Kohorte«, sagt einer der beiden Koordinatoren der HK, Rudolf Kaaks vom DKFZ. »Wir beginnen mit Gesunden, um später Vergleiche machen zu können zwischen denjenigen, die Krankheiten entwickeln und denjenigen, die gesund geblieben sind.« Veränderungen bestimmter Werte im Blut oder im Hormonspiegel könnten analysiert und mit den Werten vor und nach einer Erkrankung verglichen werden. Anschließend könnten sie, je nach vorgefundener Häufigkeit, als »Biomarker« zwecks Früherkennung genutzt werden; auch sei es möglich, krankmachende Umweltfaktoren herauszufiltern – etwa durch Vergleich von Lebenswandel oder Ernährungsgewohnheiten Gesunder und Kranker, die genetische Ähnlichkeiten aufweisen.

  • Methodische Schwächen

Dabei gehe es aber nicht vorrangig um genetische Studien, wird betont. Zwar seien Gene ein Risikofaktor für Krankheiten, sagt der Mentor des HK-Projektes, Professor Erich Wichmann vom HMGU. Die spannende Frage sei aber nicht, »was die Gene machen, sondern wie bestimmte Verhaltensweisen oder Umwelteinflüsse mit genetischen Faktoren interagieren«.

Statistische Repräsentativität sollen Bevölkerungsstichproben plausibel machen: Mit Hilfe der Meldeämter werden EinwohnerInnen ausgewählter Regionen angeschrieben; wie die Stichprobe genau aussehen wird, hängt also letztlich davon ab, welche Menschen ausgewählt werden und ob sie bereit sind mitzumachen.

Im Blick haben die ForscherInnen Krankheiten wie Krebs, Diabetes, neurodegenerative Leiden, rheumatoide und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erklärt Mitkoordinator Rudolf Kaaks. Welche Forschungsprojekte in 15, 20 Jahren oder später realisiert werden, ist zum Zeitpunkt der Datenerhebung ungewiss – eine grundsätzliche methodische Schwäche, die auch beim britischen HK-Vorbild namens UK Biobank offenbar wurde. »Die Hypothesenfreiheit prospektiver Sammlungen gehörte in der Diskussion um die UK Biobank zu den wichtigsten Einwänden aus wissenschaftlicher Sicht«, so Katrin Grüber, eine der Gutachterinnen für die 2007 abgeschlossene Biobanken-Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages. »Man sammelt Daten, ohne wirklich genau zu wissen, was man später damit herausfinden will.«

  • Individualisierendes Wissen

Einige HK-Ideen unterscheiden sich allerdings von ihrem britischen Pendant. »Von den 200.000 Personen, die wir vorgesehen haben, möchten wir etwa 40.000 in vertieften Studien untersuchen«, erklärt Professor Kaaks. »Das heißt, dass wir die Teilnehmer im Detail phänotypisieren, zum Beispiel durch Bildgebung.« So sei denkbar, mit Hilfe der Magnetresonanztechnologie Bilder des Gehirns einer älteren Subgruppe zu machen, um später Aufnahmen von Menschen, die an neurodegenerativen Leiden wie etwa Alzheimer erkrankt sind, mit denen der gesund Gebliebenen zu vergleichen. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen wären Bildgebungsverfahren zur Analyse von Veränderungen der Herzstruktur möglich. Heraus kommen sollen auch hier Aussagen zum Erkrankungsrisiko.

Produziert würde so individualisierendes Wissen nicht zu Ursachen, sondern über statistisch gestützte Risiken von Erkrankungen. Fragwürdig ist aber nicht nur die Methodik, Wachsamkeit erfordern auch die Datenvernetzungen im Gesundheitssystem. »Im Falle der UK Biobank kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass es nicht nur um wissenschaftliche Fragestellungen im Zusammenhang mit Genetik geht«, hat Grüber erkannt. »Motor des Projektes war wahrscheinlich auch, einen Zugang zu 500.000 elektronischen Krankenakten zu erhalten.«

  • Schweigepflicht – im Prinzip

Angesichts der Unterschiede zum britischen Gesundheitssystem mag dies zunächst abwegig erscheinen. Aber die informationstechnischen Möglichkeiten der Datenverknüpfung werden in zwanzig Jahren sicherlich auch hierzulande weiter wachsen. Laut Wichmann ist geplant, beispielsweise Krebsregister oder die Mortalitätsstatistik für die »Nachbeobachtung« zu nutzen. Gemeint ist die Phase nach der Ersterhebung von Daten, also wenn in regelmäßigen Abständen überprüft wird, wie sich die Gesundheit der TeilnehmerInnen entwickelt hat.

Die erhobenen HK-Daten würden zwar der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, behaupten die Epidemiologen. Dass die durchaus antastbar sein kann, zeigt das projektierte Gesetz zu den Befugnissen des Bundeskriminalamtes. Es ermöglicht, »bei konkreter Gefahr für eine terroristische Straftat« die ärztliche Schweigepflicht außer Kraft zu setzen. Tritt der Gesetzentwurf wie vorgesehen ab Januar 2009 in Kraft, könnten künftig Polizei und Staatsanwaltschaften bestimmen, wann MedizinerInnen verpflichtet sind, Auskunft zu geben.

© Uta Wagenmann, 2008
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