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Kaum zu überblicken

»Wesentliche Interessen der medizinischen Forschung richten sich auf das Zusammenspiel von genetischen Dispositionen und äußeren Faktoren bei der Entstehung und Beeinflussung von Krankheitssymptomen. Die erhofften Kenntnisse sollen nicht nur die Mechanismen der Krankheitsentstehung, sondern auch der Entwicklung neuer und individualisierter Behandlungsmöglichkeiten dienen.

Für derartige Forschungsvorhaben werden Sammlungen genetischer Proben und Daten benötigt, die je nach Fragestellung Patientenkollektive mit bestimmten Krankheiten oder repräsentative Bevölkerungsgruppen erfassen, und die eine Verknüpfung von Gendaten mit anderen relevanten Daten der betreffenden Individuen erlauben. (…)

Für derartige Vorhaben können zum Teil bereits vorhandene Proben und Datenbanken genutzt oder erweitert werden. Es wird aber auch die Errichtung neuer und großer DNA-Sammlungen geplant. (…)

Auch wenn beim Anlegen dieser Banken Arbeitshypothesen zum Zusammenhang zwischen bestimmten genetischen und bestimmten phänotpischen Merkmalen bestehen und bearbeitet werden sollen, liegt es doch gerade in der Natur dieser Vorhaben, dass die Fragestellungen und Hypothesen, für deren Bearbeitung die gesammelten und archivierten Proben und Daten interessant werden können, zum Zeitpunkt der Einrichtung der Bank bzw. der Datensammlung kaum überblickt werden können.«

aus der Stellungnahme »Prädiktive genetische Diagnostik« der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom März 2003



ERIKA FEYERABEND, Journalistin und Bioskoplerin

Das Europa der Biobanker

  • Sammlungen von Blutproben und PatientInnendaten sind ein lukrativer Rohstoff für Genforscher und Pharmafirmen

aus: BIOSKOP Nr. 26, Juni 2004, Seiten 8-10

Die Nutzung medizinischer und genetischer Daten wirft Fragen auf. Zum Beispiel in Island: Dort erklärte der Oberste Gerichtshof das Gesetz, das den Aufbau einer Biobank regulieren soll, schlicht für verfassungswidrig. Auch in Estland gibt es Probleme. Dem ehrgeizigen Projekt geht schon nach kurzer Zeit das Geld aus. Doch zur Entwarnung besteht kein Grund. Firmen, Forschungsinstitute und PolitikerInnen setzen auf ein Europa der BiobankerInnen.

Als Karí Stefánsson Ende der 90er Jahre mit seiner Firma deCODE Genetics die öffentliche Bühne betrat, waren »Biobanken« noch kein selbstverständlicher Bestandteil öffentlicher Unterhaltung. Die »isländische Biobank« sorgte für internationale Kontroversen. Das erklärte Ziel des Pioniers Stefánsson: Zugriff auf alle Krankenakten der isländischen BürgerInnen, sofern diese nicht widersprechen; Aufbau einer Datenbank mit genetischen Informationen, gewonnen aus Blut und Gewebe; eine genealogische Sammlung mit Angaben zur Abstammung.

Mit dieser einmaligen Ressource wollte Stefánsson den Wettlauf um die molekulargenetischen Faktoren von Massenerkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt oder Allergien gewinnen und an der pharmakogenetischen Forschung teilhaben. Für das biopolitische Großprojekt brauchte deCODE nicht nur Kapital, das der Pharmariese Roche – und seit kurzem auch die Firma Merck – beisteuerte. Die staatliche Legitimation lieferte das Parlament Ende 1998. Es verabschiedete das Gesetz über die Gesundheitsdatenbank und sicherte deCODE für zwölf Jahre die exklusiven Zugriffsrechte auf die Krankenakten.

Nachdem die politischen Verhältnisse geklärt schienen, ging Karí Stefánsson an die Technologiebörse. Viele IsländerInnen kauften Aktien, die mit 18 US-Dollar ausgegeben wurden und schnell auf 30 Dollar hochschnellten. Groß waren die Versprechen auf vermarktbares Wissen, auf innovative Medikamente gegen Massenerkrankungen, auf Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung in Island. Heute werden die Aktien für zwei bis drei Dollar gehandelt, und viele haben viel Geld verloren. Ein Drittel der MitarbeiterInnen von deCODE wurde entlassen, auch weil die Forschung automatisiert wurde. Das Projekt kostet mehr und dauert länger, als Börse und RisikokapitalgeberInnen lieb ist.

Die isländische Organisation Mannvernd, die sich gegen das Erfassungsprojekt engagiert und im darüber Internet (www.mannvernd.is/english) kontinuierlich informiert, konnte kürzlich einen weiteren Rückschlag für die Biobanker vermelden: Der Oberste Gerichtshof in Island hat im November 2003 das Gesetz zur Gesundheitsdatenbank für verfassungswidrig erklärt. Ragnhildur Gumundsdottir hatte gegen den isländischen Staat geklagt, um zu verhindern, dass die Daten ihres verstorbenen Vaters in die Gesundheitsdatenbank gelangen. Das Gericht gab ihr Recht: Genetische Aussagen über den Vater könnten auch die Klägerin betreffen. Die medizinischen Berichte enthalten viel über Behandlung, Lebensstil, soziale Verhältnisse, Arbeitsplatzkonditionen und Familiengeschichte. Es sei nicht staatliche Aufgabe, die Privatsphäre seiner BürgerInnen zu riskieren.

  • Kostspielige Genomik

Vor allem aber sahen die Richter das Modell der »mutmaßlichen Zustimmung« – wer schweigt, legitimiert den Datentransfer – als verfassungswidrig an. Das Gesundheitsdatengesetz spezifiziere nicht, welche Informationen aus den Krankenakten verschlüsselt werden müssen; das Individuen identifiziert werden können, sei technisch nicht ausgeschlossen.

Die Mythen von Wirtschaftswachstum und vermarktbarem Wissen überzeugten auch die ParlamentarierInnen in Estland. Die meisten stimmten im Dezember 2000 dem ehrgeizigen Projekt zu, Blut oder Gewebe sowie Daten zu Gesundheitszustand und Lebensumständen der 1,4 Millionen EinwohnerInnen zu sammeln. Die öffentlich-rechtliche Genom-Stiftung (EGPF) gilt als Betreiberin der Biobank. Doch alimentiert wird sie von ihrem kommerziellen Partner, der US-amerikanischen Firma Biotech EGee, die acht Millionen Dollar für die Pilotphase zusicherte.

Doch Kontroversen mit den wissenschaftlichen Initiatoren um Andres Metspalu, Börsencrash sowie die Aussicht, wohl erst nach Jahren kommerziell Verwertbares zu bekommen, verstimmten die Risikokapitalgeber. Anfang 2004 wollten sie nur noch einen Bruchteil der Summe zahlen. Der Staat sprang mit 225.000 Euro ein – viel Geld für ein Land, in dem die medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht gesichert ist.

Inzwischen hat EGee weitere 1,6 Millionen Euro zugesagt. Damit lässt sich aber die Pilotphase keineswegs finanzieren. Erst 10.000 Blutproben und Fragebögen wurden gesammelt. Bis Ende 2006 sollen aber 100.000 Proben im Hochsicherheitslabor in Tartu aufbewahrt und ausgewertet worden sein. Unklar ist, woher die 150 Millionen Euro kommen sollen, die für das Gesamtvorhaben derzeit veranschlagt werden. Die beteiligten ForscherInnen setzen auf internationale Kooperationen, vornehmlich finanziert aus staatlichen Mitteln und EU-Töpfen.

Anfang Mai wurde in Brüssel zum »Dialog« geladen. Auf der Tagesordnung standen 25 Empfehlungen zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten genetischer sowie pharmakogenetischer Tests – und von Biobanken »als Ressource und Werkzeug für Forschung und Entwicklung« dieser Tests. Im Auftrag der EU-Kommission entwarfen vorwiegend ExpertInnen von Pharmakonzernen sowie VertreterInnen aus Gesundheitsministerien, Universitäten und PatientInnenorganisationen diese diagnostische Zukunft. Herausgekommen ist ein »Aktionsplan« für europäische PolitikerInnen und ManagerInnen internationaler Organisationen. Die Ziele: einen globalen Konsens über Begriffe wie »genetische Daten« entwickeln und Tipps liefern für die qualitätsgesicherte und standardisierte Praxis im Umgang mit Daten und Tests.
Sorgen bereitet der Expertengruppe nur, dass nicht alle die diagnostische Zukunft wollen.

Sorgen bereitet der Expertengruppe nur, dass nicht alle die diagnostische Zukunft wollen

Das liegt im internationalen Trend. Innerhalb der EU werden Richtlinien über Qualitätsstandards für Gewebebanken einschließlich Im- und Export entwickelt. Als Organisation für ökonomische Zusammenarbeit und Entwicklung hat die OECD in diesem Jahr Richtlinien für »biologische Ressourcen-Zentren« aller Art bekannt gegeben. Für grundsätzliche Anfragen lässt der »Aktionsplan« keinen Raum. Sorgen bereitet der Expertengruppe nur, dass nicht alle die diagnostische Zukunft wollen: Wie kann mehr »Konsens und mehr Vertrauen« entstehen? Womöglich durch »öffentliche Dialoge” wie in Brüssel. Oder durch spannende Unterhaltung in der “Schule der DNA« im französischen Nimes. Oder mit einem Unterrichtspaket namens »Genes and You« für 14-16-Jährige von der Genetic Interest Group.

Derweil laufen die politischen und praktischen Aufbauarbeiten für neue Biobanken. Meist werden sie in öffentlicher Trägerschaft etabliert, die gewünschte Kommerzialisierung wird mit privaten oder gemeinnützigen Verwertungsfirmen organisiert. So hat die UK-Biobank im Dezember die gemeinnützige Firma UK Biobank Ltd gegründet. Die schwedische Medical Biobank Umea hat sich UmanGenomics zugelegt, um rund 130.000 Datensätze zu vermarkten. Aber diese Strategien haben, wie die Beispiele Island und Estland zeigen, ihre Tücken. Und: Neue Biobanken sind teuer und kosten viel Zeit.

Viel versprechender erscheint ein anderer Weg: In Europa gibt es 220 bevölkerungsbezogene Register, entstanden im Rahmen großer epidemiologischer Projekte, beispielsweise zu altersbezogenen Erkrankungen oder Herzinfarktrisiken. Seit Jahrzehnten werden Zwillingsregister angelegt; hierzulande sind die Universitäten Bielefeld und Jena dabei, möglichst alle Zwillinge zu erfassen. Auch Daten und Proben von Mutter-Kind-Studien und Schwangerschaftsuntersuchungen lagern in zahllosen Institutionen. Kliniken sammeln biologisches Material und dazu gehörende Krankenakten. Allein in den nordeuropäischen Ländern lagern 110 Millionen Gewebeproben, gewonnen aus der pathologischen Diagnostik.

Diese krankheits- wie populationsbezogenen Biobanken bieten sich zur Beforschung an. Allerdings bedarf es dazu standardisierter und international anerkannter Verfahren für Entnahme, Lagerung und Bezeichnung der Körpersubstanzen, um sie genetisch auszuwerten und von Oslo bis Neapel vertreiben und zuordnen zu können. Und benötigt werden Gesetze und Richtlinien, die möglichst pauschal formulierte Zustimmungsregeln legitimieren.

Zum Beispiel GenomEUtwin. Das Projekt wurde 2002 gegründet, um die schon lange existierenden Zwillingskohorten aus acht europäischen Ländern sowie die weltweit größte Populationsstudie MORGAM mit Gesundheitsdaten von Herzkranken international und molekulargenetisch zugänglich zu machen. Medizinische und verhaltensbezogene Daten gibt es von rund einer Million Zwillingspaaren. Hinzu kommen immerhin 30.000 DNA-Proben, in deren wissenschaftliche Nutzung die Betroffenen eingewilligt haben. Sämtliche Daten und Proben werden nun zusammengeführt mit den 80.000 DNA-Proben, die das MORGAM-Projekt beisteuern kann.

Zum Beispiel Biohealth in Norwegen. Das Netzwerk für die Forschungsbiobank und Gesundheitsstudien will Plasma, Serum, Vollblut und DNA sowie Fragebögen zu Umweltbedingungen, Krankheitsgeschichten und Abstammungsdaten von 500.000 TeilnehmerInnen jeden Alters beforschen. Bestehende Gesundheitsregister von Erwachsenen, die Mutter-Kind-Studie mit Daten von 270.000 Frauen, Männern und Kindern werden vernetzt mit dem norwegischen Krebsregister, nationalen Erfassungen zu Diabetes Typ 1, Multiple Sklerose und Herzerkrankungen. Forschungsziel: genetische Faktoren von Brustkrebs, manischer Depression, Diabetes, Herzerkrankungen, Autismus und Multipler Sklerose. Biohealth kooperiert unter anderem mit GenomEUtwin.

Die EU fördert die Koordination der Genomforschung in Europa (Cogene), um krankheitsbasierte Biobanken aus 25 Ländern zu vernetzen. Die P3G-Initiative organisiert die Kooperation zwischen GenomEUtwin, UK-Biobank und der Biobank Cartagene aus Kanada. 2003 wurde die »Koordinierte Aktion« ins Leben gerufen. Sie soll den Informationsaustausch der BiobankerInnen fördern und ein »kosteneffektives und harmonisiertes Netzwerk der populationsbasierten Biobanken und Langzeit-Kohorten-Studien in der Europäischen Union und Kanada« bewerkstelligen. Mit von der Partie sind Projekte aus acht europäischen Ländern – darunter die Biobanken in England und Estland sowie GenomEUtwin und Biohealth Norwegen.

So wird im Europa der Biobanker gerade mit Hochdruck an jener Infrastruktur gebastelt, die nötig ist, um ganze Bevölkerungen und Krankengruppen in eine kapitalisierbare Datenquelle zu verwandeln.

© Erika Feyerabend, 2004
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