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»Digitale Herrschaft«

heißt das neue Buch von Markus Jansen, das Mitte 2015 im Stuttgarter Schmetterling-Verlag erschienen ist. Der Autor beschreibt auf über 300 Seiten die gesellschaftliche Bedrohung durch umfassende Digitalisierung und analysiert anschaulich, wie Transhumanismus und synthetische Biologie »das Leben neu definieren«. Jansen problematisiert die Macht von Suchmaschinen und Datenbanken, beleuchtet die Funktion sozialer Netzwerke sowie neuartige Formen der Kontrolle und Überwachung im vernetzten Alltag. Und er gibt aufschlussreiche Einblicke in die tiefenwirksame Digitalisierung des Lebens in Biologie und Medizin.
Pioniere der Synthetischen Biologie, die anstrebt, eine der führenden Wissenschaften des 21. Jahrhunderts zu werden, definieren »Leben« im digitalen Code von Eins und Null – Organismen sollen nichts anderes sein als »Informations-maschinen«. Langfristig drohe, so die These des Berliner Philosophen, »eine grundlegende Manipulation der Natur im Rahmen technologischer und computergestützter Eingriffe in die Evolution«. Dagegen plädiert Markus Jansen für eine grundlegende Korrektur des Verhältnisses zur Technik und zur Natur, die in neuen Gemeinschaften, autarken Inseln der Vielfalt und Freiheit einen Ausdruck finden könnte.
BioSkop meint:

Absolut lesenswert!




MARKUS JANSEN, Kulturwissenschaftler

Phantome der Souveränität

  • Über »Leben« und Macht in Biomaterialbanken

aus: BIOSKOP Nr. 61, März 2013, Seiten 14+15

Biobanken sollen Übersicht und Transparenz im Kampf gegen »Volkskrankheiten« erzeugen. In sogenannten »Kohorten« werden Hunderttausende »rekrutiert«, um der medizinischen Forschung umfassendes Biomaterial zur Verfügung zu stellen. Biopolitische Souveränität wird dabei neu definiert.

Am 24. April 2012 war offizieller Starttermin des Deutschen Biobanken-Registers, das unter www.biobanken.de seine Adresse im Internet gefunden hat. Initiiert wurde das Register von der Arbeitsgruppe Biomaterialbanken der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF). Über 100 Biobanken sind im Register eingetragen. Diese stellen ForscherInnen auf Anfrage biologisches Material bereit. Das Register dient neben der Vernetzung auch der Sichtbarmachung der deutschen Biobanken-Community im internationalen Umfeld und der Information über mögliche Investitionen in Biobanken. Im Dezember 2012 fand deshalb in Berlin das 1. Nationale Biobanken-Symposium statt. Die Veranstalter von der TMF betonen, dass mit der »Förderung der zentralisierten Biobanken an Universitätskliniken, den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung sowie der Nationalen Kohorte […] jüngst eine neue Dimension für Exzellenzforschung mit humanem Probenmaterial erreicht worden« sei.

Die »Nationale Kohorte« ist die bisher ambitionierteste biotechnologische Analyse der Bevölkerung in Deutschland. 200.000 TeilnehmerInnen sollen dazu in den nächsten Jahren »rekrutiert« werden. In diesem Frühjahr startet die Pilotstudie (Siehe BIOSKOP Nr. 59). Durchgeführt wird die Kohorten-Studie von den Helmholtz-Gesundheitszentren, mehreren Universitäten und weiteren nationalen Forschungseinrichtungen.

Die hohe Anzahl von »RekrutInnen« erlaubt den Aufbau »einer bevölkerungsbezogenen, hoch standardisierten und umfassenden Datenbank«, deren Biomaterial mindestens 25 Jahre zur Verfügung stehen soll.

In erster Linie geht es darum, die Ursachen von »Volkskrankheiten«, wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes oder Krebs, anhand der ausreichenden »statistischen Power« zu identifizieren. Da neben den Auswirkungen auf die Betroffenen die Krankheiten vor allem eine »große Belastung für das Gesundheitssystem« darstellen, so die Macher der Studie, sei die Nationale Kohorte eine »wichtige Investition in die Zukunft«. Um ein möglichst repräsentatives und differenziertes Ergebnis zu erzielen, werden auch junge und noch gesunde ProbandInnen »rekrutiert«. Die Studie fußt auf differenzierten Biomarker-Analysen in Blut, Urin, DNA und Gewebe.

Die zentrale Biobank der Nationalen Kohorte wird am Helmholtz-Zentrum in München eingerichtet und umfasst ein vollautomatisches Lagersystem und ein manuelles Lager in Flüssigstickstoff-Tanks. Die hohe Anzahl von »RekrutInnen« erlaubt den Aufbau »einer bevölkerungsbezogenen, hoch standardisierten und umfassenden Datenbank«, deren Biomaterial mindestens 25 Jahre zur Verfügung stehen soll.

Integriert sind Biobanken in die international zu verzeichnenden Bemühungen, komplette Populationen eines Landes genetisch zu analysieren und zu speichern.

Deutschland will mit dem Biobanken-Register und der Nationalen Kohorte international aufschließen – denn die globale Biobanken-Szene war und ist nicht untätig. In der englischen UK Biobank lagern derzeit über 500.000 Proben, die in den Jahren 2006 bis 2010 an Menschen im Alter von 40 bis 69 Jahren erhoben wurden. Die schwedische Kohorte LifeGene strebt an, in ihrer Biobank ebenfalls Daten von 500.000 »RekrutInnen« zu archivieren, die seit 2010 für den Zeitraum von sechs Jahren erhoben werden sollen. Die TeilnehmerInnen sind zwischen 0 und 45 Jahre alt, beforscht werden also auch Kinder und »in die Kohorte Geborene« (»born into cohort«), was wirklich neu ist. Biotechnologiefirmen wurde die Nutzung von Daten und Materialien aus den Beständen von LifeGene ausdrücklich erlaubt. Die französische Kohorte CONSTANCES (»Cohorte des consultants des Centres d’examens de santé«) »rekrutiert« 200.000 ProbandInnen im Alter von 18-69 Jahren. Die Datenerfassung soll sich im Zeitraum von 2012 bis 2017 vollziehen.

Integriert sind Biobanken in die international zu verzeichnenden Bemühungen, komplette Populationen eines Landes genetisch zu analysieren und zu speichern. So versuchen die Vereinigten Arabischen Emirate, das erste Land zu werden, das die DNA-Profile der eigenen Bevölkerung vollständig in einer Datenbank erfasst; auch in Usbekistan, der britischen Kronkolonie Bermuda und in Pakistan gibt es solche Pläne.

Datenbanken sind damit ein wichtiges Instrument zur Erzeugung und Stabilisierung von Machtverhältnissen geworden.

Bereits 2003 hatte die britische Regierung vorgeschlagen, jedes Neugeborene solle gleich nach der Geburt genotypisiert werden, lediglich aus Kostengründen wurde dieses Vorhaben aber wieder verworfen (Siehe BIOSKOP Nr. 36). Und nachdem das Schweizer Projekt SESAM (»Swiss Etiological Study of Adjustment and Mental Health«), in dem 3.000 Kinder von der 12. Schwangerschaftswoche bis zum 20. Lebensjahr biomedizinisch untersucht und genetisch analysiert werden sollten, 2009 aufgrund mangelnder Beteiligung verworfen worden war, hat der Schweizer Politiker Jacques Neirynck im Herbst 2012 eine parlamentarische Initiative gestartet, die ein umfassendes Neugeborenen-Screening und darauf aufbauend eine groß angelegte nationale Gendatenbank einfordert. Am 20. März 2013 werden die Abgeordneten des Schweizer Nationalrates über Neiryncks Initiative beraten und an diesem Tag wahrscheinlich auch schon darüber abstimmen.

Seit der »digitalen Revolution« Ende des 20. Jahrhunderts verändern sich die Mechanismen der Machtausübung grundlegend. Weltwissen und -erfahrung werden zunehmend von digitalen Datenbanken geformt. Gemeinsam mit Internet-Suchmaschinen produzieren sie ein eigenes Weltbild, das in den Suchalgorithmen respektive dem Forschungsdesign schon vorgezeichnet ist und nach dem dann die AkteurInnen die »Welt« gestalten. Datenbanken sind damit ein wichtiges Instrument zur Erzeugung und Stabilisierung von Machtverhältnissen geworden.

Der Souverän des 21. Jahrhunderts agiert im Verborgenen.

Souverän ist, wer über den privilegierten Zugang zu Datenbanken und vor allem über differenzierte Auswertungsmöglichkeiten dieser Datenbestände verfügt. Dies gilt nicht nur für die Betreiber von Biodatenbanken allein, sondern für alle modernen Datenbanken und Suchmaschinen – von denjenigen des Bundeskriminalamtes und des US-Geheimdienstes CIA bis zu den vermeintlich »demokratisierten« von Google und Facebook, die nur einen sanktionierten Bruchteil ihres Wissens dem User zugänglich machen und zugleich detaillierte Profile eben dieser User zwecks ökonomischer Verwertung in ihren Firmenzentralen erstellen. Der Zugang zu diesen Wissensbeständen der Datenbanken ist nur einem streng definierten Personenkreis gestattet, der über ein technisches Spezialwissen verfügen muss, um diese Bestände überhaupt abrufen zu können.

Der Souverän des 21. Jahrhunderts agiert im Verborgenen – wie ein Phantom. Phantomhaft – allerdings im unterlegenen, negativen Sinne – ist auf der anderen Seite der User bzw. »Rekrut«, der sich dem verwertenden Zugriff und der Überwachungsfunktion von Datenbanken ausgesetzt sieht. Damit hat sich das Verhältnis der Macht zur Repräsentation ihrer selbst grundlegend geändert: von der offensiven, öffentlichen Demonstration der Stärke in einem »realen« Raum zum nicht verortbaren, virtuellen Raum der digitalen Datenbank des 21. Jahrhunderts.

Nicht leben zu lassen, sondern Leben zu machen ist der Fluchtpunkt biopolitischer Souveränität.

Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat sich mit dieser Machtausübung beschäftigt und meint: Der moderne Mensch und sein biologisches Leben werden nicht absolut aus den Verwertungskreisläufen der Biopolitik ausgeschlossen, sondern in eine rechtlose Zone der sogenannten »einschließenden Ausschließung« versetzt. Diese »einschließende Ausschließung« ist eine wichtige Strategie der modernen biopolitischen Souveränität.

Im Gegensatz zum Zeitalter der Disziplin bzw. der Sozialdisziplinierung vom 17. bis zum 18. Jahrhundert, in dem der Souverän seine Macht vorrangig mittels physischer Gewalt ausübte, nimmt die moderne Biopolitik ab ca. 1800 das Leben selbst, als biologisches Faktum, in ihren Griff. Nicht leben zu lassen, sondern Leben zu machen ist der Fluchtpunkt biopolitischer Souveränität. Dazu bedarf es effektiver und sicherer Zugriffe auf die unterschiedlichen Erscheinungsweisen des Lebens.

Diese Freiheit des modernen Menschen ist daher nur eine scheinbare.

Die »einschließende Ausschließung« dient genau diesem Ziel: Das Leben des Menschen muss in seinen Stoffwechselprozessen, Körperteilen und medizinischen Daten verfüg- und verwertbar gemacht werden. Der absolute Ausschluss von Menschen aus den Verwertungskreisläufen wäre unproduktiv und entspräche nicht der biopolitischen Logik, das Leben zu steigern und zu verbessern. Das Leben wird in eine kontrollierte Freiheit entlassen, um dieses innerhalb fest umrissener Grenzen umso besser optimieren zu können. Diese Freiheit des modernen Menschen ist daher nur eine scheinbare. Sie herrscht nur in den gesetzten Grenzen gesundheitlicher, leistungsbezogener Normen und Optimierungsphantasien.

Im Falle der Biobanken besteht die »einschließende Ausschließung« des Lebens darin, ganze Bevölkerungsgruppen genetisch zu untersuchen – konsequenterweise schon unmittelbar nach der Geburt, weit vor Erreichen der juristischen Mündigkeit der »RekrutInnen«. In der »einschließenden Ausschließung« sind Freiheit und Gefangenschaft, Recht und Unrecht, Gewalt und Schutz nicht mehr unterscheidbar.

Die »RekrutInnen« werden mitnichten geschützt, sondern vielmehr existenziell entblößt.

Befürworter und Betreiber von Biobanken rechtfertigen ihr Tun mit der Sicherung der »Volksgesundheit« und der Vorsorge gegen »Volkskrankheiten«. Die »RekrutInnen« allerdings werden mitnichten geschützt, sondern vielmehr existenziell entblößt. Denn in Folge der Analyse von (vermeintlichen) Krankheitsrisiken, der Speicherung, Vernetz- und Abrufbarkeit von anonymisierten Biodaten können diese Daten jederzeit und ohne Wissen der »Inhaber« des Biomaterials weiterverarbeitet, bioindustrieller Verwertung zugeführt und einer personalen Identität wieder zugeordnet werden.

Die ermittelten Biodaten zu »prophezeiten« Krankheits- und Todeswahrscheinlichkeiten können im Laufe des Lebens zum Damoklesschwert für die Analysierten werden. Für die Betreiber von Biobanken, GenforscherInnen und die Pharmaindustrie hingegen sind sie das Material ihres Lebens.

© Markus Jansen, 2013
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