BioSkop unterstützen! Kontakt Über uns


LINDE PETERS, Biochemikerin mit Homepage zur Gentechnikkritik

Medikamente nach Maß?

  • Pharmakogenomische Verheißungen auf dem Prüfstand

aus: BIOSKOP Nr. 26, Juni 2004, Seiten 12+13

Pharmakogenetik handelt von Erbanlagen, die mit Medikamenten in Beziehung stehen sollen. Das molekulargenetische Konzept sieht so aus: Kennt man die Gene, die mit der Wirkung einer bestimmten Arznei zusammenhängen, kann man PatientInnen auf diese Gene testen, Nebenwirkungen vermeiden und – wie das PR-Schlagwort der Branche verheißt – »maßgeschneiderte Medikamente« entwickeln.

Was die Pharmaindustrie heute euphorisch als Vorteil für die PatientInnen ankündigt, wäre in vielen Fällen schon seit langem möglich gewesen – nicht mit Hilfe von Gentests, sondern mit Stoffwechseluntersuchungen. Trotzdem wurden die Verträglichkeiten nicht getestet. Die Auflage, solche Tests durchzuführen, hätte das Medikament in Misskredit gebracht und auf dem Markt benachteiligt.

Heute gelten die mit Genen zusammenhängenden Techniken als Leitbild, so dass die Vision vom »maßgeschneiderten« Medikament vertrauenswürdig erscheint. Und pünktlich zu dieser neuen Sicht wurden Ende der neunziger Jahre auch Zahlen über die Opfer unerwünschter Arzneinebenwirkungen bekannt: Über 100.000 Todesfälle jährlich sollen es allein in den USA sein und 25.000 hierzulande. Dies gelte es zu verhindern, wird stets wiederholt. Verschwiegen wird dabei, dass man einigen Geschädigten auch früher schon mit Stoffwechseluntersuchungen hätte helfen können. Und unrichtig ist das Versprechen, man könne die Mehrzahl von ihnen durch Gentests retten. Nur in wenigen Fällen wird man auf einen Test eine klare Antwort erhalten. Meist sind die Dinge dafür zu komplex.

  • Beobachtungen im Labor

MolekulargenetikerInnen haben Labormethoden entwickelt, die visualisieren, wie viele Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle aktiv sind. So haben sie im Labor beobachtet, dass Medikamente oder Gifte die Aktivität hunderter von Genen verändern können. Anfänglich gingen die BiologInnen von jeweils nur einer Wirkung aus, für die man den Mechanismus zu kennen glaubte. Aber gefunden wurden hunderte zusätzlicher, von denen man keine zuordnen kann.

Für molekularbiologische Erklärungen sind besonders die abbauenden Enzyme wichtig, die überdurchschnittlich viele genetische Varianten zeigen. Ist ein solches Enzym weniger aktiv, so nimmt die Wirkung des Medikaments langsamer ab, und es reichert sich zu höheren Konzentrationen im Blut an. Die betroffenen PatientInnen vertragen also nur kleinere Dosen.

Doch das ist eine vereinfachte Sicht: Ein Medikament kann von mehreren Enzymen angegriffen werden, und eine Person kann von ein und dem selben Gen zwei verschiedene Varianten besitzen. Jede der möglichen Kombinationen bildet dann eine Krankengruppe, die für sich betrachtet werden muss. Da auch die Gesamtwirkung oft nicht der Summe verschiedener Einzelaktivitäten entspricht, müsste für jede Gruppe die Dosierung ermittelt werden – in eigenen klinischen Tests.

Einige Arzneien sind nur Vorstufen der eigentlichen aktiven Substanz. Der Aktivierungsschritt muss im Körper erfolgen. Ist diese Aktivität zu niedrig, steigt die Konzentration im Blut langsamer. Diese PatientInnen bräuchten also eine höhere Dosis.

  • Keine einfachen Antworten

Nimmt man nicht nur die Zellen in den Blick, sondern den Patientenkörper, wird die Sache noch komplizierter. Ein oral verabreichtes Medikament muss durch die Darmwand aufgenommen werden und in manchen Fällen die Bluthirnschranke überwinden. Die dabei ablaufenden Wechselwirkungen von genetisch und nicht-genetisch (Ernährung und Erkrankung) bedingten Funktionen sind so komplex, dass sie von der Pharmakologie heute nicht einmal ansatzweise beherrscht werden. Deshalb sind hier keine Tests auf molekularer Ebene möglich

Gentests werden also keine einfachen Antworten liefern. Derzeit spielen sie in wenigen Fällen eine Rolle bei Therapieentscheidungen. Ein Beispiel hierfür ist das Medikament 6-Mercaptopurin, das seit langem für die Chemotherapie bei Kindern mit einer Leukämievariante eingesetzt wird. Bei 0,3 Prozent der kleinen PatientInnen kam es zu lebensgefährlichen Nebenwirkungen. Den Kindern fehlt ein bestimmtes Enzym, für das ein Gentest existiert. Da noch andere, nicht bekannte Faktoren eine Rolle spielen sollen, zeitigt der Test ungefähre, aber nicht genaue Ergebnisse und wird deshalb mit einem herkömmlichen Enzymtest kombiniert. PatientInnen mit entsprechenden Testergebnissen erhalten jetzt ein Zwanzigstel der Medikamentendosis. Sie sollen davon etwa den gleichen therapeutischen Nutzen haben wie die anderen von der vollen Dosis.

  • Gescheiterte Arzneien retten

Um als Medikament zugelassen zu werden, muss eine Substanz bestimmte Sicherheitskriterien erfüllen. Viele sind in klinischen Studien durchgefallen, weil die Zahl der Nebenwirkungen zu hoch war. Mit den neuen Testmöglichkeiten kam die Idee auf, man könne doch einmal nachsehen, ob sich die unerwünschten Wirkungen vielleicht auf TrägerInnen bestimmter Gene konzentrieren. Träfe dies zu, könne die Arznei nachträglich doch noch zugelassen werden – wenn bei neuen klinischen Tests die vermutlich empfindlich reagierenden StudienteilnehmerInnen von vorne herein ausgeschlossen werden. Dies wäre für Pharmahersteller sehr lukrativ, denn sie könnten dann gescheiterte Arzneien doch noch auf den Markt bringen.

Selbst der Vorsitzende der US-Firma Human Genome Sciences, William Haseltine, warnt ausdrücklich vor der Möglichkeit, fehlgeschlagene Arznei-Kandidaten zu retten, indem man diese bei ausgesuchten PatientInnen anwendet. Tests könnten unzuverlässig sein, so dass es bei einigen Kranken trotzdem zu lebensbedrohlichen Reaktionen kommen könne. Die Vielfalt der Gene zu entziffern, die an einer Medikamentenreaktion beteiligt sind, sei schwierig. Umwelt, Nahrung, Geschlecht, Alter und Gesundheit könnten eine Rolle spielen. »Man muss den ganzen Menschen in Betracht ziehen, wenn man ein Medikament anwendet«, sagt Haseltine. »Das pharmakogenomische Argument ist ähnlich wie das soziobiologische, dass alles in den Genen liege, aber das trifft nicht zu.«

Der enorme Arbeitsaufwand der Genomsequenzierung war nur mit einer stetig verbesserten Automatisierung zu bewältigen. Um neue Medikamente zu entwickeln, muss jeder Arbeitsschritt ebenfalls automatisiert werden. Das bedeutet für neu zu entwickelnde Medikamente: keine Tests auf Giftigkeit in Tierversuchen oder Zellkulturen im Frühstadium der Entwicklung, sondern nur auf molekularer Ebene.

  • Kaum Ansätze für neue Präparate

Hierfür setzt man die schon erwähnten, abbauenden Enzyme ein, nach dem Motto: Ein Medikament, das von ihnen abgebaut wird, kann keine lang anhaltende Giftwirkung ausüben. Doch viele, besonders ältere Menschen, nehmen verschiedene Arzneien, die sich gegenseitig beeinflussen können. Diese Gefahr steigt, wenn verschiedene Medikamente sich chemisch ähnlich sind. Und die Ähnlichkeit kann zunehmen, wenn man alle Medikamenten-Kandidaten durch das selbe Enzymraster jagt.

Und hatten wir nicht gesagt, dass es von diesen Enzymen besonders viele Varianten gibt? Auf welche wird dann getestet? Auf die häufigsten! Dies bedeutet, dass die so getesteten neuen Medikamente nur für PatientInnen entwickelt werden, die einen massenproduktionsgerechten Enzymstatus aufweisen.

Darauf angesprochen, sagen SprecherInnen der Pharmaindustrie, für die übrigen PatientInnen müssten eben andere Medikamente entwickelt werden. Das wird aber wohl nur geschehen, wenn die Anzahl potenzieller Kranker hoch ist oder wenn der Staat dies ausreichend subventioniert. Wird er dazu willens und in der Lage sein? Oder werden in Zukunft Gentests darüber entscheiden, welche Art von Versorgung jemand erhält?

Von den Versprechen der Pharmakogenetik bleibt bei genauerer biochemischer Inspizierung nicht viel übrig. Ihre genetischen Tests haben oft nicht die gewünschte Aussagekraft und werden vor allem der Klassifizierung von PatientInnen dienen. Die versprochene Sicherheit vor Nebenwirkungen ist in sehr vielen Fällen nicht über den genetischen Ansatz zu erreichen. Und zukünftige »maßgeschneiderte« Medikamente werden sicher nicht für alle, sondern für den genetisch getesteten Norm-Patienten entwickelt. Bislang gibt es aber kaum Ansätze für Präparate, die diese Bezeichnung verdienen.

© Linde Peters, 2004
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Autorin