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Zentral gespeichert

Die Nationale Kohorte ist auch ein Fall für Deutschlands Datenschutzbeauftragte. Eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz Hessens hat sich die Pläne für das Großforschungsprojekt 2010 angeschaut – Zwischenergebnis: »Ein endgültiges Datenschutzkonzept liegt noch nicht vor.«

Der aktuelle Tätigkeitsbericht des hessischen Datenschutzbeauftragten, veröffentlicht Anfang 2011, spricht einige heikle Aspekte an. Die im Rahmen medizinischer Untersuchungen und genetischer Analysen gewonnenen Informationen sollen – verschlüsselt mit einem Pseudonym – in einer zentralen Datenbank gespeichert werden; entnommene Körpersubstanzen werden in einer »zentralen Bioprobenbank« aufbewahrt. »Darüber hinaus«, so der hessische Bericht, »sollen weitere Informationen über die Studienteilnehmer aus bereits vorhandenen Krankenakten, medizinischen Registern (z.B. Krebsregistern) sowie Renten- und Sozialversicherungsakten in die Langzeitstudie einbezogen werden.«

Geklärt werden müsse zum Beispiel, »zu welchen Zwecken die Proben insgesamt verwendet werden dürfen«. Zentral sei zudem die Frage, wie ein Re-Identifizierungsrisiko für die TeilnehmerInnen »weitestgehend« verhindert werden kann.




UTA WAGENMANN, Soziologin, aktiv im Gen-ethischen Netzwerk

Nationale Erfassung

  • Ab 2012 wollen ForscherInnen Daten und Bioproben von 200.000 Menschen sammeln, speichern und analysieren

aus: BIOSKOP Nr. 56, Dezember 2011, Seiten 4+5

Die britische UK Biobank (Siehe BIOSKOP Nr. 36) provozierte jahrelange, teils erbitterte Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit. Ungestört und eher unauffällig geht 2012 ein ähnliches Großprojekt in Deutschland an den Start: die »nationale Kohorte«. Daten und Bioproben von 200.000 Menschen sollen bundesweit für noch unbestimmte Forschungsprojekte gesammelt und mindestens 20 Jahre gespeichert werden.

Die Erfassung der ProbandInnen beginnt im Laufe des nächsten Jahres. Dafür werden in 13 Bundesländern nach dem Zufallsprinzip aus dem Datenbestand der Meldeämter Adressen gezogen. Die ausgewählten Menschen bekommen dann einen Brief von einem der 18 Studienzentren der »nationalen Kohorte«, mit dem sie gebeten werden, freiwillig an zahlreichen Untersuchungen teilzunehmen. Nach Aufklärung und Zustimmung sollen sie dort Blut- und Urinproben abgeben und Fragen zur Ernährung, zum Lebenswandel, zu eigenen Erkrankungen, zu Krankheiten in der Familie und zum sozialen Hintergrund beantworten. In den folgenden Jahrzehnten sollen dann mehrere Nachuntersuchungen stattfinden.

Das deutsche Großforschungsprojekt ähnelt der britischen UK Biobank nicht nur, was die ausgewählten Erkrankungen und Forschungsthemen betrifft. Auch die Versprechen der InitiatorInnen klingen vertraut: »Ursächliche Zusammenhänge von Lebensstil-Faktoren und Risikofaktoren der Umwelt mit chronischen Erkrankungen« sollen erkannt und Beziehungen zwischen geografischen und sozio-ökonomischen Unterschieden von Gesundheit untersucht werden. So steht es in dem fast 350 Seiten umfassenden, wissenschaftlichen Konzept des Projektes mit dem Titel »The national cohort. A prospective epidemiologic study resource for health and disease research in Germany«, das im Februar 2011 öffentlich gemacht wurde.

Der lange Förderzeitraum ist ohne Beispiel in der Forschungspolitik.

Die ForscherInnen wollen natürlich auch Einiges entwickeln, etwa »Modelle zur Risikoabschätzung, um Personen mit erhöhtem Risiko für chronische Erkrankungen zu identifizieren«, oder »personalisierte Vorbeugungsmöglichkeiten«. Angestrebt wird dabei insbesondere auch die Bewertung von Markern aller Art »für die Früherkennung von Krankheiten und subklinischen Phänotypen« – dieser Begriff meint Menschen, die nicht krank sind, aber es möglicherweise einmal werden, und er verweist auf die Bedeutung, die genetischen und molekularen Untersuchungen in der nationalen Kohorte zukommen soll.

Die Vorbereitungsphase des Großprojektes, finanziert mit 20 Millionen Euro von der Helmholtz-Gemeinschaft, hatte bereits vor drei Jahren begonnen (Siehe BIOSKOP Nr.44). Schon damals hofften die InitiatorInnen auf eine dauerhafte Finanzierung aus Steuergeldern. Ihre Erwartung hat sich schnell erfüllt: Im Februar 2011 wurde das wissenschaftliche Konzept zur Prüfung beim Bundesforschungsministerium (BMBF) eingereicht, und bald darauf fiel die Entscheidung: Das Kohortenprojekt erhält vom BMBF, also aus Steuergeldern, eine Grundfinanzierung in Höhe der von den MacherInnen veranschlagten 200 Millionen Euro, und zwar verteilt auf zehn Jahre. Der lange Förderzeitraum ist ohne Beispiel in der Forschungspolitik – in den vergangenen Jahrzehnten waren Projekte zum Aufbau von Proben- und Datensammlungen gewöhnlich zwei bis vier Jahre gefördert worden.

Welchen Wert die InitiatorInnen der nationalen Kohorte schon jetzt beimessen, verdeutlichen die festgelegten Eigentumsbestimmungen.

Die Finanzierung von Aufbau und Betrieb der nationalen Kohorte zielt offensichtlich nicht so sehr auf die wirtschaftlich orientierte »Stärkung« des »Standortes Deutschland«, die das BMBF in den so genannten Lebenswissenschaften regelmäßig im Blick hat. Perspektivisch geht es hier wohl eher um gesundheitsökonomische Erwägungen. »Alle sind sich einig, dass wir eine nationale Kohorte brauchen«, sagt Andrea Lindner vom Referat Gesundheitsforschung im BMBF. Das Projekt habe ein enormes Präventionspotenzial. So könnten WissenschaftlerInnen mit Hilfe der Kohorten-Daten Fragen zur Entstehung einzelner Krankheiten ebenso bearbeiten wie epidemiologische Problemstellungen; untersuchen könnten sie auch Wechselwirkungen zwischen Erbanlagen und Umwelteinflüssen oder Beziehungen zwischen Lebensalter und dem Ausbrechen bestimmter Krankheiten. »Die nationale Kohorte ist wirklich vielseitig nutzbar, sowohl für die Untersuchung von Bedingungen der Krankheitsentstehung wie auch für gesundheitsökonomische Fragen«, erklärt Lindner. »Das ist, wenn Sie so wollen, eine Art Eier legende Wollmilchsau.«

Welchen Wert die InitiatorInnen der aufzubauenden, nationalen Kohorte schon jetzt beimessen, verdeutlichen die im wissenschaftlichen Konzept des Projektes festgelegten Eigentumsbestimmungen. Dort heißt es unmissverständlich, dass der eingetragene Trägerverein »der juristische Eigentümer aller von den Teilnehmern zur Verfügung gestellten Daten und biologischen Proben ist«. Der Zugang zu der mit öffentlichen Mitteln finanzierten Sammlung soll grundsätzlich zwar für alle Forschungsprojekte gewährleistet werden, allerdings will man Gebühren zur Deckung der Kosten erheben. Von »Organisationen, die finanzielle Vorteile aus der Nutzung der Daten erwarten«, können zudem höhere Gebühren verlangt werden.

»Machbarkeitsstudien zur Testung verschiedener innovativer Erhebungsinstrumente«

Auch die Liste der beteiligten »Cluster« zeugt davon, dass viele ein Stück von diesem Kuchen wollen: Neben diversen Helmholtz-Zentren, verschiedenen Abteilungen des Deutschen Krebsforschungszentrums, dem Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin und dem Robert-Koch-Institut sind mehrere medizinische Fakultäten großer Universitäten an Aufbau und Betrieb der regionalen Studienzentren beteiligt. Derzeit sollen an diesen Studienzentren »Machbarkeitsstudien zur Testung verschiedener innovativer Erhebungsinstrumente« stattfinden, schreiben die Verantwortlichen der nationalen Kohorte auf ihrer Website www.nationale-kohorte.de.

Beteiligt ist auch die medizinische Fakultät der Universität Leipzig, wo im Oktober bereits ein Studienzentrum mit der Erfassung begonnen hat – und zwar für die »Gesundheitsstudie LIFE« (Siehe BIOSKOP Nr. 55). In der Tat werden hier ganz neue Methoden der Probandengewinnung erprobt. So erfreut sich das Teilprojekt LIFE Child der Unterstützung durch die Schulverwaltung: Um die etwa 10.000 gesunden Kinder zu erreichen, die sich für die Studie untersuchen lassen und Proben und Daten abgeben sollen, werden Elternabende zur Information über LIFE genutzt, in staatlichen Schulen Flyer verteilt, und ganze Klassenverbände bekommen schulfrei, um im Rahmen eines Projekttages den Untersuchungsparcours im Leipziger Studienzentrum zu durchlaufen. Die rund 10.000 gesunden Erwachsenen, die bei LIFE mitwirken sollen, werden aus dem Adressbestand der Meldeämter per Zufallsziehung ausgewählt – ganz so wie es auch für das bundesweite Projekt vorgesehen ist.

»In all den Punkten, wo ein Abgleich herstellbar ist, machen wir den aber.«

Seit dem Start der Ziehungen Anfang Oktober hätten sich sofort 35 bis 40 Prozent der Angeschriebenen zur Teilnahme gemeldet, bilanziert Professor Markus Löffler, Vorstand bei LIFE und zugleich Mitglied des Epidemiologischen Planungskomitees der nationalen Kohorte. »Ein Drittel antwortet, sie wollen nicht mitmachen, und ein Drittel antwortet gar nicht, die schreiben wir ein zweites Mal an.«

Die Erfahrungen bei der Probandengewinnung für LIFE sind für den Aufbau der nationalen Kohorte sicherlich verwertbar; auf jeden Fall steht die Infrastruktur von LIFE dafür zur Verfügung. »Wir werden unsere Studienambulanz nach LIFE einige Jahre lang für die nationale Kohorte nutzen«, kündigt Löffler an. »Dann kommen unsere LIFE-Nachuntersuchungen, und dann die Nachuntersuchungen für die Kohorte, so dass das hintereinander ineinander geschachtelt ist.«

Dass die von LIFE-ForscherInnen untersuchten ProbandInnen in das bundesweite Großprojekt eingeschlossen werden, ist aber eher unwahrscheinlich. »Die Kohorten überlappen nicht hundert Prozent, zum Beispiel hat LIFE keine Leute zwischen 20 und 40 Jahren, und die nationale Kohorte hat keine zwischen 70 und 80«, erklärt Professor Löffler. »Außerdem gehen eine Reihe unserer Untersuchungen über das Programm der nationalen Kohorte hinaus. In all den Punkten, wo ein Abgleich herstellbar ist, machen wir den aber.«

Geplant ist, zusätzlich zu Untersuchungsergebnissen und biologischen Proben auch Daten der Sozialversicherungen und der Krankenkassen einzubeziehen.

In einem Punkt geht die nationale Kohorte allerdings deutlich weiter als LIFE: Geplant ist, zusätzlich zu Untersuchungsergebnissen und biologischen Proben auch Daten der Sozialversicherungen und der Krankenkassen einzubeziehen. Im wissenschaftlichen Konzept heißt es, für solche so genannten sekundären Daten solle ein »Kompetenzzentrum« eingerichtet werden, weil sie »nach besonderen Datenschutzbestimmungen verlangen«.

Gerade weil diese Informationen besonders sensibel sind, sollte ihre Sammlung sehr genau beobachtet, die Zwecke und Motive offen gelegt und erörtert werden. KritikerInnen der 500.000 Menschen umfassenden UK Biobank gehen jedenfalls davon aus, dass zumindest das britische Projekt vor allem darauf abzielte, gerade zu solchen Daten Zugang zu bekommen. Verknüpft mit Bioproben und daraus gewonnen genetischen Informationen und Angaben zu Krankheiten und Lebensgewohnheiten lassen sich Versichertendaten als wertvolle Quelle nutzen – für gesundheitsökonomische Kalkulationen der Politik ebenso wie für Marktanalysen von Pharmaunternehmen.

© Uta Wagenmann, 2011
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