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UTA WAGENMANN, Soziologin, aktiv im Gen-ethischen Netzwerk


Etappensieg für KritikerInnen?

  • Die großspurige SESAM-Studie der Universität Basel darf stattfinden – aber nur unter Auflagen

aus: BIOSKOP Nr. 38, Juni 2007, Seiten 6+7

Die Vorbereitungen laufen seit Oktober 2005, nun haben die Basler Psychologen um Professor Jürgen Margraf für ihr großspuriges Projekt namens SESAM _(Siehe BIOSKOP Nr. 32 »grünes Licht« bekommen: 3.000 Menschen dürfen sie zwanzig Jahre lang beobachten und testen. Die Langzeitstudie könnte dennoch scheitern: Die zuständige Ethikkommission macht unbequeme Auflagen.

Der Vorsitzende der Ethikkommission beider Basel (EKBB), Hans Kummer, nennt SESAM »ein sehr ambitiöses Unterfangen mit einer sehr aktuellen und wichtigen Fragestellung«. Die »Schweizerische Studie zu Entwicklung und seelischer Gesundheit« (SESAM) könne daher im Grundsatz stattfinden. Vor einer endgültigen Freigabe müssten jedoch noch einige Auflagen erfüllt werden.

Die allerdings sind weniger leichtgängig als der wohlwollende Tonfall vermuten lässt, den Kummer bei der öffentlichen Präsentation der EKBB-Stellungnahme Ende März anstimmte. SESAM ist als Langzeitstudie konzipiert, um Zusammenhänge zwischen genetischen Dispositionen und Umwelteinflüssen mit psychischer Gesundheit beziehungsweise Krankheit herstellen zu können. Zu diesem Zweck wollen ForscherInnen der Universität Basel 3.000 Kinder kontinuierlich untersuchen – über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, der schon vor der Geburt beginnt. Außerdem sollen genetische und weitere Daten von Eltern und Großeltern erhoben werden.

Dass Kinder über eine so lange Phase den Interessen von ForscherInnen ausgesetzt sein sollen, verlangt nach Ansicht der EKBB besondere Auflagen. So wird die Projektleitung dazu verpflichtet, eine unabhängige Begleitstudie zu finanzieren, die mögliche psychische und soziale Auswirkungen der Teilnahme an SESAM beobachten soll. Deren Ergebnisse müssen der EKBB jährlich vorgelegt werden, um bei »studienbedingten Konflikten oder Belastungen entsprechende Maßnahmen zu ergreifen«. Außerdem muss eine unentgeltliche Anlaufstelle für erkrankte ProbandInnen eingerichtet werden. Schließlich sei es »ethisch nicht vertretbar, dass das Untersuchungspersonal bei Sichtbarwerden einer psychischen Erkrankung oder im Fall einer akuten Krise (…) untätig zuschaut.«

  • Abwarten bis zur Mündigkeit?

Insbesondere aber lehnt die EKBB »die Entnahme und Untersuchung der genomischen DNA bei allen Versuchspersonen vor dem Erreichen der Mündigkeit« ab. Genetische Daten dürften erst dann erhoben werden, wenn Versuchspersonen sich frei und informiert dafür entschieden haben, derartige Tests zuzulassen. Damit können die angeblich für die Entstehung psychischer Erkrankungen so wichtigen genetischen Dispositionen frühestens in knapp zwanzig Jahren erhoben werden – und auch nur dann, wenn die dann mündig gewordenen Beforschten eigens einwilligen.

»Jetzt stellt sich die Frage noch schärfer als zuvor, welche neuen Erkenntnisse SESAM eigentlich liefern soll«, so Gabriele Pichlhofer von der unabhängigen, gentechnikkritischen Organisation Basler Appell. Die Studie sei nach wie vor äußerst fragwürdig. »Insofern ist das Votum der EKBB ein Etappensieg.«

  • SESAM öffnet Hintertüren

Kritisiert wird in der öffentlichen Diskussion in der Schweiz neben Datenschutzfragen vor allem auch der Forschungsansatz der SESAM-Studie. Sowohl die Definition wie die Untersuchung seelischer Krankheiten ist besonders kontext- und kulturabhängig; hier mit simplen Korrelationen von Datensätzen zu arbeiten, sei daher nicht nur reduktionistisch, sondern auch unseriös: Da die ForscherInnen durch ihre Befragungen und Untersuchungen die Situation in den Familien beeinflussen können, entstünden keine objektivierbaren Daten. Die SESAM-Leitung dagegen meint, die geplante Langzeitbeobachtung werde nicht mehr Einfluss auf die Familien haben als der normale Alltag.

So umstritten der wissenschaftliche Wert des Projektes auch sein mag – rechtspolitisch hat SESAM eine herausragende Bedeutung. Weil Kinder juristisch als nicht einwilligungsfähig gelten, die Mitwirkung aber keinerlei persönlichen Nutzen für die TeilnehmerInnen bringt, handelt es sich bei der Langzeitstudie um fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen. Ob diese Art der Forschung überhaupt rechtlich zulässig ist, darüber streitet man sich auch in der Schweiz.

Die so genannte Bioethik-Konvention des Europarates, die derartige Eingriffe erlaubt, hat die Schweizer Regierung zwar bereits unterzeichnet. Doch eine rechtsverbindliche Grundlage im Alpenstaat gäbe es erst, wenn auch das Übereinkommen ratifiziert würde. Ungewiss ist, ob beziehungsweise wann es so weit kommt. Aber die Schweizer Regierung arbeitet derzeit an einem »Humanforschungsgesetz«, das fremdnützige Studien mit Nichteinwilligungsfähigen erlauben soll.

  • Rekrutierung von Schwangeren

Da die EKBB ihr Votum zu SESAM ausdrücklich auf die Bioethik-Konvention stützt, stärkt sie implizit den BefürworterInnen einer Ratifizierung den Rücken. Das kritisiert der Basler Appell vehement. »Wir lehnen fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen mit Nachdruck ab«, so Gabriele Pichlhofer, »und wir fordern die Projektleitung auf, endlich auf die Studie zu verzichten.«

Davon sind die SESAM-Betreiber weit entfernt. Man werde die Auflagen erfüllen und bald mit der Rekrutierung von Schwangeren beginnen, erklärte etwa der stellvertretende Direktor von SESAM, Alexander Grob, nach der EKBB-Entscheidung. Auch sei der Kern der Studie nicht gefährdet, da DNA-Analysen bei Volljährigen erlaubt bleiben. »Weil die Korrelationen mit Krankheiten sich ohnehin erst im Erwachsenenalter zeigen«, so Jürgen Margraf, Leiter von SESAM, “können wir mit der Empfehlung der Ethikkommission gut leben.«

  • Protest geht weiter

Die Langzeitstudie wird weiterhin mit zivilgesellschaftlichem Protest rechnen müssen. »Erst einmal werden wir abwarten, ob SESAM die Auflagen erfüllen kann und wie das Projekt dann im Detail aussieht«, so Pichlhofer vom Basler Appell. »Wenn es nötig wird, leiten wir dann auch rechtliche Schritte ein.«

© Uta Wagenmann, 2007
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