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Erfahrungen eines Gutachters

Professor Wolfgang Ehrengut, Jahrgang 1919, hat sich fast ein halbes Jahrhundert mit Impfungen beschäftigt. Eine Gesamtschau seiner Tätigkeit legte er 2004 als Buch vor: Erfahrungen eines Gutachters über Impfschäden in der Bundesrepublik Deutschland von 1955 – 2004. Ehrengut, bis 1984 Direktor des Instituts für Impfwesen und Virologie in Hamburg, erläutert »grundlegende Fragen zu wichtigen Impfzwischenfällen« und informiert über einige Schadensfälle im Zusammenhang mit bekannten Impfungen. »Die kritische Betrachtung einzelner Impfungen«, schreibt Ehrengut im Vorwort, »soll den Wert der Schutzimpfung ingesamt keinesfalls in Frage stellen.« Und er fügt hinzu: »Eine prinzipielle Negierung der Existenz von Dauerschäden ist zwar der Durchimpfung dienlich, aber unwissenschaftlich und wird dem Impfling nicht gerecht.«

Das lesenswerte Buch (251 Seiten, 28 €) erschien 2004 im Norderstedter Verlag Books on Demand.



ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Rechtsweg offen?

  • Verdacht auf Impfschaden – Eltern kämpfen seit 15 Jahren um Anerkennung

aus: BIOSKOP Nr. 54, Juni 2011, Seiten 6+7

1996 war für das Ehepaar Lutat ein folgenschweres Jahr. Ihr Sohn Lorenzo wurde damals gegen Tuberkulose geimpft. Seitdem kämpfen die Eltern um Entschädigung, um Anerkennung eines Impfschadens und gegen ärztliche Ignoranz. Lorenzo ist schwerstbehindert, er lebt heute zu Hause.

»Geburt, Schwangerschaft, alles war prima. Lorenzo hat auch gute Werte gehabt«, erinnert sich Wislawa Lutat. Als sie sich vor über 14 Jahren beim Kinderarzt vorstellte, war alles in Ordnung. Dann impfte der behandelnde Arzt den vier Wochen alten Säugling gegen Tuberkulose. Die Begründung: In Polen, dem Geburtsland der Mutter, sei die Erkrankung häufig.

Schon am Abend bekam Lorenzo hohes Fieber, Durchfall und Krämpfe. »Lorenzo hat sich total verändert. Er hat aufgehört zu lachen, hat die Flasche nicht mehr gepackt und nur noch geweint«, erzählt die Mutter. Die Symptome hielten an. Wislawa Lutat machte sich Sorgen, wechselte zu einer anderen Kinderärztin und besuchte mehrmals pro Woche die Arztpraxis. Doch da hieß es nur: Das Baby ist kerngesund.

Im Alter von viereinhalb Monaten wurde Lorenzo wieder geimpft, dieses Mal mit einem Kombinationsimpfstoff, der gegen fünf Krankheiten wirken soll. Die Krämpfe und der gesundheitliche Zustand verschlechterten sich zusehens. Irgendwann sah auch die Ärztin ein: Der Junge hat epileptische Anfälle. Mutter und Kind verbrachten ein halbes Jahr im Uniklinikum Aachen – mit unzähligen Untersuchungen. Nach dieser diagnostischen Odyssee stand fest: Lorenzo hat schwer kontrollierbare, epileptische Anfälle. Sein Hirnvolumen, das anfänglich normal gewesen war, ist vermindert. Er wird nie laufen, sprechen oder greifen können.

Unter diesen Umständen ist es fast unmöglich, einen Gerichtsprozess wegen des Verdachts auf einen Impfschaden selbst zu finanzieren.

Wislawa Lutat kann sich noch genau erinnern: »Für uns war das ein Schock. Und ich habe gesagt, das ist von der Impfung. Aber das wollte dort niemand wissen.« Statt dessen formulierten behandelnde Ärzte einen folgenschweren Verdacht, der noch heute die Krankenakten und das Leben der Lutats bestimmt: Das Kind leide an einer mitochondrialen Myopathie, einem genetisch bedingten Leiden. Daran änderte auch die Beurteilung einer Muskelbiopsie beim 3-jährigen Lorenzo nichts. Aus dem Uniklinikum Aachen erfuhren die Eltern damals: »Wir können keinen sicheren Anhaltspunkt für eine ausgeprägte mitochondriale Krankheit finden.«

Lorenzo hat zwei ältere Geschwister. Die Familie muss mit einem Gehalt auskommen. Von der Pflegekasse bekommt Frau Lutat Geldleistungen. Das heißt aber auch: Sie ist tagtäglich rund um die Uhr mit der Pflege ihres behinderten Sohnes beschäftigt. Seit Jahren können die Eltern keine Nacht durchschlafen, weil Lorenzo nachts Anfälle bekommt und ständig umgelagert werden muss. Unter diesen Umständen ist es fast unmöglich, einen Gerichtsprozess wegen des Verdachts auf einen Impfschaden selbst zu finanzieren.

Familie Lutat gab und gibt dennoch nicht auf.

Aber die Familie Lutat will Recht bekommen – und auch Versorgungsleistungen, um ihres Sohnes willen. Sie stellte einen Antrag beim Versorgungsamt. Doch zum Prozess kam es nicht, Begründung: Lorenzos Leiden seien genetisch bedingt. Mittlerweile wurde der Junge mit Kortison behandelt. Er bekam Herzprobleme und konnte sich gar nicht mehr bewegen, weil er sehr viel Wasser einlagerte. Dann bekam Lorenzo eine Lungenentzündung. Wieder im Krankenhaus, will Wislawa Lutat ihre »Worte an die Wand schlagen: Mein Sohn ist krank von der Impfung. Aber die Ärzte antworten nicht.« Geld und Kraft reichten nicht mehr, um weiterhin um die Anerkennung des Impfschadens zu kämpfen.

Familie Lutat gab und gibt dennoch nicht auf. 2007 verklagte sie die Hausärztin wegen der zweiten Impfung mit dem Kombinationsimpfstoff. Der Gutachter bestätigte, dass diese Impfung ein Behandlungsfehler war. Lorenzo hatte damals schon epileptische Anfälle und hätte nicht geimpft werden dürfen. »In diesem Prozess bekamen wir 12.700 Euro Entschädigung. Der Richter hat gesagt: Seien Sie froh, dass sie überhaupt etwas bekommen, weil das Kind schon krank war«, erinnert sich die Mutter.

Unhinterfragt galt im Prozess die Verdachtsdiagnose »genetisch bedingt behindert«. Der geladene Gutachter hatte eine andere Meinung. Er vermutete, dass die erste Impfung gegen Tuberkulose der Auslöser für die unkontrollierbaren epileptischen Anfälle war. Seit 1998 empfiehlt die Ständige Impfkommission den BCG-Impfstoff nicht mehr in Deutschland. Der Lebendimpfstoff gilt unter ExpertInnen als wenig effektiv, um die Tuberkulose zu verhindern, und er ist wegen unerwünschter Nebenwirkungen gefürchtet. Doch dieser Schadensverdacht war nicht Gegenstand dieses Prozesses. Ein weiteres Verfahren aber konnte und kann sich die Familie nicht ohne finanzielle Unterstützung leisten.

»Jemand muss doch mal die Wahrheit sagen.«

Unterstützt von einer AOK-Sachbearbeiterin, veranlasste das Ehepaar im Jahr 2010 humangenetische Untersuchungen an Lorenzo. Würden dabei keine Hinweise auf eine genetisch bedingte Erkrankung festgestellt, könnte der Weg wieder frei sein: für eine Prozesskostenbeihilfe, um die Folgen der ersten BCG-Impfung vor Gericht zu klären; für die Hoffnung, Versorgungsansprüche geltend machen zu können; für Wislawa Lutat, um Pflegekräfte bezahlen und endlich einmal einen halbwegs »normalen« Alltag führen zu können; für die Familie, die auf das Recht hofft, dass ÄrztInnen ihre (Mit)Schuld eingestehen müssen.

Die Ergebnisse sind eindeutig. In der Stellungnahme des humangenetischen Institutes in Aachen werden »die schweren körperlichen und geistigen Behinderungen, Atembeschwerden und epileptischen Anfälle« von Lorenzo nicht genetisch erklärt. Dort heißt es: »Genetische Analysen wie Chromosomenanalyse, CHG-Array-Analyse des gesamten Genoms, FraX-, SDKPB1-SCMA-Genanalysen und solche, die bereits andernorts vorgenommen wurden, ergaben keine Hinweise auf eine genetisch bedingte Erkrankung. Die Schilderung des Krankheitsbeginns lässt m.E. eher an einen Impfschaden denken.«

Der zuständige Richter am Landesozialgericht in Essen forderte trotz der zahlreichen Gutachten und der Stellungnahme eine weitere Erklärung des federführenden humangenetischen Instituts in Aachen an. Erst dann könne die Prozesskostenbeihilfe gewährt werden. Bis dahin müssen die Eltern weiter warten und hoffen, »dass jemand doch mal die Wahrheit sagen muss«.

© Erika Feyerabend, 2011
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