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Netzwerk gegen Selektion

Der 21. März gilt als »Welt-Down-Syndrom-Tag«, er soll auf die Situation von Betroffenen aufmerksam machen. »Sie leiden nicht am Down-Syndrom, sondern an der gesellschaftlichen Diskriminierung«, schreibt das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik in seiner Pressemitteilung zum 21. März 2012. Die Erklärung mobilisierte gegen den PraenaTest, dessen Einführung sich im Frühjahr schon abzeichnete. »Der Test«, kritisiert das Netzwerk, »ist der letzte Schritt einer Entwicklung vorgeburtlicher Diagnostik, mit der zunächst in wenigen, schweren Ausnahmefällen die Geburt von Kindern schwer wiegender genetischer Auffälligkeiten verhindert werden sollte und die heute zur Routine in der Schwangerenvorsorge geworden ist.« Die Propagierung des Bluttests verfestige Vorurteile gegenüber Menschen mit Down-Syndrom, während das Grundgesetz Diskriminierung wegen einer Behinderung verbiete. Auch deshalb müsse verhindert werden, dass die neue Diagnostik, die Frauen bis auf weiteres selbst bezahlen müssen, perspektivisch in die allgemeine, kostenfreie Schwangerenvorsorge übernommen wird. Gefordert sei nun die Politik, sie müsse insbesondere unterbinden, dass der Bluttest womöglich im Rahmen so genannter Screenings (Reihenuntersuchungen) routinemäßig eingesetzt wird.

Informationen und AnsprechpartnerInnen gibt es online beim Netzwerk



MARTINA KELLER, Journalistin

Nutzen fraglich, Wirkungen unabsehbar

  • Bluttest erweitert den vorgeburtlichen Diagnosemarkt

aus: BIOSKOP Nr. 59, September 2012, Seiten 4+5

Der molekulargenetische »PraenaTest« soll Trisomie 21 bei Ungeborenen aufspüren. Kritiker halten den neuen Test für unethisch – der Hersteller behauptet, sein Produkt werde Leben retten.

Seit Ende August ist der umstrittene PraenaTest auf dem Markt. Er soll Trisomie 21 bei einem ungeborenen Kind aus dem Blut der Mutter diagnostizieren, indem Erbgutschnipsel des Kindes vervielfältigt und dann statistisch ausgewertet werden. Hersteller LifeCodexx in Konstanz teilte mit, der Test sei nun in mehr als 70 Praxen und Kliniken in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und in der Schweiz verfügbar.

Bislang wird Schwangeren mit einem erhöhten Risiko für Trisomie 21 zur genaueren Abklärung eine Fruchtwasseruntersuchung (Amniozentese) angeboten. Dieses Verfahren führt allerdings in einem von 100 oder 200 Fällen zu Fehlgeburten. Der neue Bluttest liefert nun ebenfalls eine Aussage zum Trisomie-21-Risiko, jedoch früher in der Schwangerschaft und ohne gesundheitliches Risiko. LifeCodexx wirbt für seinen Test mit der Behauptung, er könne »allein in Deutschland bis zu 700 Kindern das Leben retten, die jährlich durch Komplikationen bei invasiven Untersuchungen sterben«.

Die Daten zur Zuverlässigkeit des Tests sind nach Angaben der Anbieterfirma noch nicht veröffentlicht.

So einfach ist die Rechnung allerdings nicht, auch die neue Diagnosetechnik bietet keine hundertprozentige Sicherheit. So kann der PraenaTest nur die freie Trisomie 21 erkennen, seltene Formen wie Mosaik- oder Translokationstrisomie aber nicht. Die Daten zur Zuverlässigkeit des Tests sind nach Angaben der Anbieterfirma noch nicht veröffentlicht.

Auf Anfrage schickt LifeCodexx jedoch Informationen zur Sensitivität und Spezifität, aus denen sich ersehen lässt, wie viele der Betroffenen und Nicht-Betroffenen vom Test im Durchschnitt richtig angezeigt worden seien. 472 Blutproben von Schwangeren mit Risikoschwangerschaft wurden ausgewertet. Dabei gab es zwei Falsch-Negativ-Ergebnisse – 38 von 40 Proben wurden korrekt als Trisomie 21 bewertet. Hinzu kamen zwei Falsch-Positiv-Ergebnisse – 430 von 432 Proben wurden korrekt als Nicht-Trisomie 21 bewertet.

Für die betroffenen Frauen bedeutet das Verunsicherung durch drei verschiedene Tests im Abstand von Wochen.

Nach derzeitigem Stand muss somit der Bluttest nach auffälligem Befund weiterhin durch eine invasive Fruchtwasseruntersuchung abgesichert werden. Für die betroffenen Frauen bedeutet das Verunsicherung durch drei verschiedene Tests im Abstand von Wochen. Ein Beispiel: Im Ultraschall wird in der 11. Schwangerschaftswoche ein auffälliger Befund entdeckt, der auf Trisomie 21 hindeutet. Ab der 12. Schwangerschaftswoche wird nun der PraenaTest aus dem Blut der Mutter durchgeführt, das Ergebnis soll nach rund zehn Tagen vorliegen. Falls sich ein positiver Befund ergibt, wird dieser durch eine Chorionzottenbiopsie oder durch eine Fruchtwasseruntersuchung abgeklärt. Lediglich für Frauen mit unauffälligem Befund bedeutet der Test eine schnelle Entlastung. Ein geringes Risiko für ein falsch negatives Ergebnis bleibt auch dann.

Eine weitere Beschränkung des Tests liegt darin, dass andere Formen der Fehlbildung nicht erkannt werden. Das Risiko für eine Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, beträgt bei einer 40-jährigen Frau etwa ein Prozent, das generelle Fehlbildungsrisiko während einer Schwangerschaft wird jedoch mit drei bis vier Prozent angegeben. »Durch das selektive Anbieten dieses risikolosen Tests für Frauen und Paare wird der Eindruck vermittelt, dass Kinder mit Down-Syndrom als besonders belastend bewertet werden”, kritisiert der Verband Pro Familia Nordrhein-Westfalen in einer Stellungnahme vom Juni 2012. Tatsächlich ist das Down-Syndrom aber eine Form der Behinderung, die sehr verschiedene Ausprägungen hat und mit der die meisten Betroffenen gut leben können.

»Ich befürchte, dass mit dem neuen, vermeintlich einfacheren Test die Suche nach Menschen mit Down-Syndrom noch verstärkt wird.«

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat den Test mit erheblichen finanziellen Mitteln gefördert. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Hubert Hüppe, kritisiert die Markteinführung vehement, in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit sagte er: »Ich kann mich nicht damit abfinden, dass mit diesem Test ein weiteres Mittel geschaffen wird, behinderte Menschen zu diskriminieren.« Bereits heute entschieden sich Eltern bei der Diagnose Down-Syndrom in neun von zehn Fällen für einen Schwangerschaftsabbruch, so Hüppe. »Ich befürchte, dass mit dem neuen, vermeintlich einfacheren Test die Suche nach Menschen mit Down-Syndrom noch verstärkt wird.«

Die Kosten für den PraenaTest liegen bei 1.250 Euro. Derzeit werden sie nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Vielmehr wird die neue Diagnostik als »Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL)« angeboten, die Schwangere selbst bezahlen müssen. Zusätzlich können von der durchführenden Praxis Gebühren, etwa für die gendiagnostische Beratung, in Rechnung gestellt werden – eine solche Beratung ist gesetzlich vorgeschrieben, weil der Test unter das Gendiagnostikgesetz fällt. Hinzu kommen unter Umständen Kosten von 150 bis 250 Euro für ein vorgeschaltetes Ersttrimesterscreening, das ebenfalls nicht von den Kassen bezahlt wird und eine Wahrscheinlichkeitsrechnung für eine Fehlbildung liefert. »Für Menschen mit geringem Einkommen besteht keine Wahlfreiheit«, kritisiert Pro Familia NRW in dem Positionspapier, das den Test grundsätzlich befürwortet und kostenfreien Zugang zu dem Bluttest fordert.

Wie ist unter den Bedingungen der sich ständig ausweitenden Testmöglichkeiten eine »informierte Einwilligung« überhaupt möglich?

Wie der Behindertenbeauftragte sieht aber auch Pro Familia das Risiko der Diskriminierung: »Es ist zu befürchten, dass die Möglichkeit der schnellen und risikofreien Untersuchung von kindlichen Erberkrankungen die Akzeptanz unserer Gesellschaft gegenüber Menschen mit Behinderung weiter verändern kann.« Ein leicht durchführbarer Test könne den Druck auf werdende Eltern erhöhen, einen Test in jedem Fall durchführen zu lassen und die Schwangerschaft bei einem auffälligen Befund abzubrechen. Der Staat dürfe daher nicht in seinen Bemühungen nachlassen, Menschen mit Behinderung zu fördern und zu integrieren und den Gedanken der Inklusion in der Gesellschaft zu verankern.

Die technische Entwicklung scheint in eine andere Richtung zu gehen. Zum Ende dieses Jahres sollen nach Angaben der Herstellerfirma bereits Tests für die Chromosomenstörungen Trisomie 13 und Trisomie 18 vorliegen. In Zukunft könnte es technisch möglich werden, das gesamte Erbgut eines Ungeborenen zu identifizieren. Dadurch wären nicht nur Chromosomenstörungen zu erkennen, die ein Neugeborenes unmittelbar betreffen, sondern auch Erkrankungen, die erst im Erwachsenenalter auftreten können. Wissenschaftler rechnen in fünf bis sieben Jahren mit dieser Möglichkeit.

Viele Fragen drängen sich auf – zum Beispiel: Wie ist unter den Bedingungen der sich ständig ausweitenden Testmöglichkeiten eine »informierte Einwilligung« überhaupt möglich? Hat nicht auch das zukünftige Kind ein Recht auf Schutz seiner Daten gegenüber Medizinern oder gegenüber den eigenen Eltern?

© Martina Keller, 2012
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