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KARL-HEINZ SEKATSCH-WINKELMANN, Gesundheitswissenschaftler, PatientInnenvertreter in einem Unterausschuss des »Gemeinsamen Bundesausschusses«

Zwischen Interessenvertretung und Vereinnahmung

  • PatientInnen-Vertreter im »Gemeinsamen Bundesausschuss«

aus: BIOSKOP Nr. 31, September 2005, Seiten 4+5

Seit 2004 gilt das Modernisierungsgesetz für die gesetzliche Krankenversicherung. Die bitteren Einschränkungen der Kassenleistungen und finanziellen Bürden für die Versicherten wurden mit einem Bonbon für PatientInnenorganisationen versüßt: Sie sind seither eingeladen, die Leistungsangebote im Gesundheitswesen im internen Kreis mitzugestalten – und öffentlich mitzuverantworten.

Eines der mächtigsten Gremien im selbstverwalteten deutschen Gesundheitswesen trägt das Kürzel G-BA. Gemeint ist der »Gemeinsame Bundesausschuss« mit Sitz in Siegburg bei Bonn, der regelmäßig hinter verschlossenen Türen tagt. Im öffentlichen Rampenlicht steht der G-BA nur selten, weshalb wohl nur wenige Krankenversicherte wissen, was der Ausschuss eigentlich macht. Wissen müssten sie das eigentlich schon: Denn der G-BA ist jenes Gremium, in dem VertreterInnen von Ärzteschaft, Krankenkassen und Klinikträgern aushandeln, welche Medikamente, Therapieverfahren und Heil- und Hilfsmittel von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden sollen – und welche eben nicht. Der Ausschuss entscheidet, unter welchen Bedingungen ambulante und stationäre Versorgung, Zahnbehandlung und Psychotherapie bezahlt wird.

Seit Anfang 2004 dürfen im G-BA auch Organisationen mitreden, die Interessen von PatientInnen wahren sollen. Eine bunte Schar aus über 50 Personen, benannt von Selbsthilfeorganisationen, Behinderten- und Sozialverbänden, Verbraucherzentralen und PatientInnenstellen, ist nun in rund zwanzig Unterausschüssen dabei. Die thematische Palette ist vielfältig: Sie reicht von Arzneimitteln über Heil- und Hilfsmittel bis zu Psychotherapie und Qualitätsbeurteilung. Wenn es ernst wird, bleiben die delegierten »PatientInnen« allerdings außen vor: Ihre Meinung sagen dürfen sie zwar, gern auch Vorschläge machen. Aber mitentscheiden, das dürfen sie nicht: Anders als die RepäsentantInnen von Ärzteschaft, Kliniken und Krankenkassen haben PatientInnen im G-BA kein Stimmrecht!

Die PatientInnen-Beteiligung im G-BA soll offensichtlich dazu dienen, künftige Einschränkungen und Belastungen der Versicherten mit mehr Akzeptanz auszustatten.

Schon diese politisch verordnete Beschränkung zeigt: Rot-Grün hat sich keineswegs getraut, die langjährigen Entscheidungsstrukturen und Durchsetzungspraktiken der LobbyistInnen in Frage zu stellen. Die modische Rhetorik von »mündigen PatientInnen« und »selbstverantwortlichen KundInnen« bemäntelt lediglich, dass im Gesundheitswesen weiterhin Teilinteressen der Leistungsanbieter dominieren. Die PatientInnen-Beteiligung im G-BA soll offensichtlich dazu dienen, künftige Einschränkungen und Belastungen der Versicherten mit mehr Akzeptanz auszustatten.

In der Selbsthilfe-Szene geht es ohnehin nicht nur um Interessenvertretung für chronisch kranke oder behinderte Menschen. Aus vielen kleinen Initiativen, entstanden seit Anfang der 1980-er Jahre, sind zum Teil finanzkräftige Verbände mit hauptamtlichen Geschäftsstellen hervorgegangen. Gerade in Krisenzeiten sehen sie sich gezwungen, auch auf Sicherung eigener Arbeitsplätze zu achten. Aktuelle Presseberichte lassen erahnen, wie Pharmaunternehmen und Marketingagenturen an Einfluss im Selbsthilfe-Bereich gewonnen haben. Wie viele Industriesponsorengelder an PatientInnengruppen fließen, ist unbekannt; welche Aktivitäten mittlerweile von Pharmaunternehmen gesponsert werden, ebenfalls.

Die Vorherrschaft wissenschaftlicher und gesundheitsökonomischer ExpertInnen ist ungebrochen. Verbindungen zur Industrie und mögliche Interessenkonflikte müssen sie nicht offen legen, und solche Geheimnistuerei gilt auch für diejenigen, die als PatientenvertreterInnen benannt sind.

Die kaum durchschaubaren Verhältnisse spiegeln sich im G-BA. Die Vorherrschaft wissenschaftlicher und gesundheitsökonomischer ExpertInnen ist ungebrochen. Verbindungen zur Industrie und mögliche Interessenkonflikte müssen sie nicht offen legen, und solche Geheimnistuerei gilt auch für diejenigen, die als PatientenvertreterInnen benannt sind. Eventuelle Einflussnahmen zu thematisieren, ist selbst in den eigenen Reihen tabu.

Die Beschlüsse des G-BA der vergangenen Monate sprechen dafür, dass die dort geübte PatientInnenbeteiligung eher Alibicharakter hat.

- Beispiel Zahnersatz: Anfang 2005 trat die so genannte »Befundorientierte Zuschussregelung«in Kraft. Was dies im Alltag heißt, zeigen erste Berechnungen der AOK: Mehrbelastungen von rund 65 Prozent für die PatientInnen.

- Beispiel »Disease Management Programme«: Nach offizieller Darstellung sollen sie die Versorgung chronisch kranker Menschen verbessern helfen. Die standardisierten Behandlungsformen, die der G-BA befürwortet, orientieren sich einseitig an Angeboten der Pharmaindustrie. Denn der G-BA setzt im wesentlichen auf medikamentöse Therapien. Andere Behandlungsformen, vorgeschlagen von PatientInnenseite und VertreterInnen nicht-ärztlicher Berufe wie PsychotherapeutInnen, blieben weitgehend unberücksichtigt.

- Beispiel »Ausnahmeregelungen«: Sie sind eine besonders beliebte Form, um Leistungseinschränkungen und Kostensteigerungen durchzusetzen. Praktisch geht das so: Zunächst werden finanzielle Belastungen im G-BA gemeinsam beschlossen. Nach einigen Monaten protestieren PatientInnenorganisationen in der Öffentlichkeit, einzelne Beschwerden, adressiert an die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, kommen hinzu. Angesichts der Proteste sieht sich der G-BA veranlasst, noch einmal zu beraten. Im Ergebnis werden dann mehr oder weniger präzise »Ausnahmeregeln« vereinbart, auf die sich einige Menschen mit chronischen Krankheiten berufen können. So erscheinen selbst die härtesten Spar-Beschlüsse in einem milderen Licht. Abgesehen davon, dass die Betroffenen überhaupt erst an die für sie notwendigen, neuen Informationen kommen müssen: Manchmal hängen die Ausnahmen vom Ermessen des behandelnden Arztes ab. Für Kranke kann dies bedeuten, dass sie ihr Recht mit viel Mühe und Kraft in der Praxis durchsetzen müssen. Trotzdem feiern PatientenvertreterInnen Ausnahmeregelungen häufig als »ihren« Erfolg.

Die übliche Praxis der LobbyistInnen wird durch Anwesenheit der PatientInnen-Fraktion kaum gestört.

Die Bilanz nach eineinhalb Jahren Mitarbeit im G-BA fällt eher ernüchternd aus. Als Gewinn bringend lässt sich vielleicht bewerten, dass solches ehrenamtliches Engagement hilft, einen differenzierten Einblick in Entscheidungsabläufe und Durchsetzungsstrategien der großen Interessengruppen im Gesundheitswesen zu bekommen. Da Details aber vertraulich behandelt werden sollen und die delegierten PatientInnen sich auch strikt an diese Vorgabe halten, erfährt die Gemeinschaft der BeitragszahlerInnen so gut wie nichts über die Art und Weise, wie Entscheidungen, die ihre Versorgung betreffen, zustande kommen. Die übliche Praxis der LobbyistInnen wird durch Anwesenheit der PatientInnen-Fraktion kaum gestört. Zumal dieser nicht nur das Stimmrecht vorenthalten wird: Personelle Unterstützung für die zeitintensive G-BA-Arbeit erhalten sie bisher ebensowenig wie Aufwandsentschädigungen für die Teilnahme an den Ausschusstreffen, die meist in Siegburg, Köln und Berlin stattfinden. Unter solchen Bedingungen ist eine systematische Vorbereitung und Vernetzung auf Dauer unmöglich.

Wer mit PatientInnenvertretung im G-BA ernst machen will, muss vor allem Transparenz einfordern und diese praktisch herstellen: Den ersten Schritt, das Offenlegen eventueller Verbindungen zur Pharmaindustrie oder zu anderen Lobbygruppen, können die G-BA-Mitglieder selbst tun. Orientierung könnten hier die Empfehlungen der Antikorruptionsorganisation Transparency International bieten. Schritt Nr. 2 setzt eine Initiative des Gesetzgebers sowie Selbstbewusstsein der PatientInnen-Verbände voraus: Sie können eine qualitativ gute, nachvollziehbare Interessenvertretung nur dann leisten, wenn sie über ihre Aktivitäten im G-BA öffentlich ungehindert berichten und zur Diskussion stellen bzw. stellen dürfen.

© Karl-Heinz Sekatsch-Winkelmann, 2005
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