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Vereinbarung der Koalitionäre

»Der Gesundheitsmarkt ist der wichtigste Wachstums- und Beschäftigungssektor in Deutschland. Beitrag und Leistung müssen in einem adäquaten Verhältnis stehen. Es braucht zudem Anreize für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten. (…)

Wir wollen einen Einstieg in ein gerechtes, transparenteres Finanzierungssystem. (…) Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeträgen, die sozial ausgeglichen werden. Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest.«

aus dem Koalitionsvertrag (Seite 86) zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode (2009-2013)



THOMAS GERLINGER, Professor für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld (zuvor Prof. für Medizinische Soziologie an der Universität Frankfurt a.M.)

Noch mehr Gerechtigkeitslücken

  • Schwarz-gelbe Regierung plant Systemwechsel in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung

aus: BIOSKOP Nr. 48, Dezember 2009, Seiten 3+4

Die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist schon wieder Gegenstand heftiger Kontroversen. Anfang 2009 hatte die Große Koalition den Gesundheitsfonds eingeführt. Nun kündigt die neue konservativ-liberale Bundesregierung die nächste Reform an. Ihr Vorhaben läuft auf einen Systemwechsel in der GKV-Finanzierung hinaus.

Seit Einführung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar dieses Jahres fließen die Beiträge nicht mehr direkt an die einzelnen Krankenkassen, sondern in einen gemeinsamen Topf. Der Beitragssatz wird künftig nicht mehr von der einzelnen Krankenkasse festgelegt, sondern für alle Kassen einheitlich von der Bundesregierung. Die Beitragseinnahmen dieses Gesundheitsfonds werden durch einen steuerfinanzierten Bundeszuschuss ergänzt, der in den nächsten Jahren ansteigen soll, nach jüngsten Absprachen zunächst auf 15,7 Milliarden Euro im Jahr 2010, also auf immerhin knapp zehn Prozent des Ausgabenvolumens im Jahr 2007. Die Krankenkassen erhalten aus dem Fonds einen festen Betrag je Versichertem und einen Risikozuschlag, für dessen Höhe Alter und Geschlecht der Versicherten sowie – das ist neu – bestimmte Krankheitsmerkmale maßgeblich sind.

  • Zusatzbeitrag und Sonderkündigungsrecht

Kann eine Krankenkasse ihre Ausgaben mit den ihr zugewiesenen Mitteln nicht mehr decken, muss sie entweder die kassenspezifischen Leistungen kürzen oder einen Zusatzbeitrag erheben, der allein von den Versicherten aufgebracht werden muss. Der Zusatzbeitrag kann pauschal oder prozentual zum Einkommen erhoben werden und soll – zumindest bislang – ein Prozent der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds nicht überschreiten (2010 wären dies bis zu 37,50 Euro pro Monat, da die Beitragsbemessungsgrenze bei 3.750 Euro liegt). Allerdings wird eine Einkommensprüfung erst ab einem monatlichen Zusatzbeitrag von mehr als acht Euro vorgenommen. Wer weniger als 800 Euro verdient, kann also durchaus mit mehr als einem Prozent seines Einkommens belastet werden. Sobald eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag einführt oder anhebt, steht dem Versicherten ein Sonderkündigungsrecht zu, auf das ihn die Kasse hinweisen muss. In diesem Fall kann der Versicherte die Krankenkasse sofort wechseln.

  • Keine Lösung für Einnahmeprobleme

Zum Start des Gesundheitsfonds soll dieser die Ausgaben der GKV vollständig finanzieren. Sollten die Ausgaben danach die Einnahmen übersteigen, müssen die Krankenkassen das Defizit zunächst durch die Einführung des kassenindividuellen Zusatzbeitrags für die Versicherten decken. Die Summe aller Zusatzbeiträge kann auf bis zu fünf Prozent der GKV-Gesamtausgaben steigen – der Deckungsgrad durch den Gesundheitsfonds also auf 95 Prozent sinken. Erst wenn dieser Wert überschritten wird, ist eine Anhebung des gemeinsam von Versicherten und Arbeitgebern finanzierten Beitragssatzes vorgesehen.

Der Gesundheitsfonds stellt zwar einen neuen Rahmen für die GKV-Finanzierung dar, nimmt aber – sieht man einmal vom steuerfinanzierten Bundeszuschuss ab – keine grundlegenden Veränderungen am bisherigen Finanzierungsmodus vor: Von einer An- oder Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze oder der Beitragsbemessungsgrenze sieht er ebenso ab wie von einer Einbeziehung anderer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung. Daher trägt der Fonds nicht zur Lösung der Einnahmeprobleme in der GKV bei.

  • Zu Lasten der Versicherten

Dabei ist absehbar, dass sich die Finanzierungslasten mittelfristig weiter von den Arbeitgebern auf die Versicherten verlagern werden. Denn man darf annehmen, dass es nicht allzu lange dauern wird, bis sich eine neue Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben in der GKV auftut, und für diesen Fall beinhaltet die Konstruktion des Zusatzbeitrags einen Automatismus, der genau jene Wirkung herbeiführt. De facto wird dann mit dem allein von den Versicherten zu tragenden Zusatzbeitrag der Arbeitgeberbeitrag vorübergehend eingefroren.

Zudem steht in den Sternen, ob die Bundesregierung tatsächlich den Beitragssatz anheben wird, wenn die Gesamtsumme der Zusatzbeiträge die Fünf-Prozent-Schwelle erreicht haben sollte. Denn es ist ein Leichtes, den gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsanteil des Gesundheitsfonds beim Erreichen des Schwellenwerts von 95 Prozent weiter zu senken und den der Zusatzbeiträge zu erhöhen. Es bedarf jedenfalls keiner blühenden Phantasie, um sich vorzustellen, dass in diesem Fall das »Standort«-Argument bemüht wird für die Forderung, das Finanzierungsdefizit nicht durch eine Anhebung des Beitragssatzes, sondern der Zusatzbeiträge zu decken.

Mit der Festlegung eines bundesweit einheitlichen Beitragssatzes wird künftig der Zusatzbeitrag zum zentralen Kennzeichen der Kassenkonkurrenz. Davon erhofft man sich eine Intensivierung des Wettbewerbs, denn die absolute Höhe des Zusatzbeitrags – so die Erwartung – stelle ein eindeutigeres Preissignal dar als der vielfach unbekannte Beitragssatz.

  • Kopfpauschale angekündigt

Im Oktober haben CDU, CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode öffentlich vorgestellt. In seinen gesundheitspolitischen Abschnitten kündigt das Papier einen Systemwechsel in der GKV-Finanzierung an, der den Versicherten und Patienten einseitig die Lasten eines weiteren Ausgabenanstiegs im Gesundheitswesen aufbürdet. Grundsätzlich will die schwarz-gelbe Koalition die Gesundheitskosten weitgehend von den Lohnzusatzkosten abkoppeln. Zu diesem Zweck will sie das gegenwärtige, einkommensabhängige Beitragssystem auf eine einkommensunabhängige Kopfpauschale umstellen. Zugleich soll der Arbeitgeberbeitrag eingefroren werden, und zwar nun dauerhaft.

  • Zugunsten Besserverdienender

Realisiert die Koalition ihre Pläne, würde dies eine grundsätzliche Abkehr vom derzeitigen Finanzierungsmodus in der GKV bedeuten. Zum einen würde das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags die – in der Zukunft voraussichtlich weiter ansteigenden – GKV-Ausgaben einseitig den Versicherten aufbürden; zum anderen würde die Einführung einer Kopfpauschale innerhalb der Versichertengemeinschaft die Belastung unterer und mittlerer Einkommen zugunsten Besserverdienender erhöhen. Denn eine Kopfpauschale beansprucht bei diesen Gruppen einen überdurchschnittlich hohen Teil des Haushaltseinkommens; sie wird einen relevanten Teil der Versicherten finanziell schlicht überfordern.

In den Verlautbarungen von Regierungsvertretern kommt dieser Wechsel recht harmlos daher. Bezieher niedriger Einkommen sollen einen steuerfinanzierten Zuschuss erhalten. Der Sozialausgleich würde damit lediglich aus der Krankenversicherung in das Steuersystem verlagert, wo er im Übrigen viel besser aufgehoben sei als in der Krankenversicherung. Schätzungen für den Subventionsbedarf gehen – je nach Subventionsmodell – von einem zusätzlichen Finanzbedarf in Höhe von 20 bis 40 Milliarden Euro aus. Zugleich haben sich die Regierungsparteien bereits auf umfangreiche Steuerentlastungen in Höhe von 24 Milliarden Euro festgelegt, deren Gegenfinanzierung vollkommen unklar ist. Gerade angesichts der Krise der öffentlichen Haushalte ist zu erwarten, dass der Steuerzuschuss für Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen, von vornherein niedrig angesetzt wird.

  • Einmaliger Luxus in Europa

Zudem entstünden mit einer Kopfpauschale neue Gerechtigkeitslücken. Verlierer dieses Finanzierungsmodells würden nicht nur Geringverdiener, sondern auch Bezieher mittlerer Einkommen sein, insbesondere jene Gruppen, deren Einkommen geringfügig oberhalb der Subventionsgrenze liegt. Eine Kopfpauschale würde die degressive Belastung der Versicherten mit Krankenversicherungskosten noch weit über das im aktuellen bisher schon anzutreffende Maß hinaus steigern.

Verstärkt würden die unsozialen Effekte einer Kopfpauschale noch durch das ausdrückliche Festhalten an der privaten Krankenversicherung als eigenständigem Zweig der Krankheitsvollversicherung. Besserverdienenden soll es also auch weiter gestattet sein, ihr zudem noch vergleichsweise geringes Krankheitsrisiko privat zu finanzieren und sich damit der solidarischen Finanzierung der Krankheitskosten zu entziehen – ein Luxus, den sich kein anderes Land in der Europäischen Union leistet.

© Thomas Gerlinger, 2009
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