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Interessante Expertise

Der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien lautet der Titel einer Ende 2008 abgeschlossenen Expertise, erstellt von der Arneimittelkommission der Bundesärztekammer. Leseprobe: »Publizierte Arzneimittelstudien, die von der pharmazeutischen Industrie finanziert werden oder bei denen ein Autor einen finanziellen Interessenkonflikt hat, haben weitaus häufiger ein für das pharmazeutische Unternehmen günstiges Ergebnis als Studien, die aus anderen Quellen finanziert werden.«

Die Expertise ist ONLINE




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

ExpertInnen und Interessenkonflikte

  • Öffentliche Register mit Angaben über MeinungsbilderInnen in der Medizin und ihre möglichen Industriekontakte fehlen

aus: BIOSKOP Nr. 49, März 2010, Seiten 8+9

Honorare für Vorträge und Beratungen, Drittmittel für klinische Studien oder auch Aktienpakete – geschäftliche Verbindungen zwischen ÄrztInnen und Unternehmen der Gesundheitsindustrie werden zunehmend kritisch beäugt. Wachsamkeit ist aber auch geboten, wenn ExpertInnen über Krankheiten, Therapien oder Medizinprodukte schreiben und Leitlinien erstellen. Die Forderung wird lauter: Jeder potenzielle Interessenkonflikt muss offen gelegt werden!

Der Begriff »Interessenkonflikt«, weiß Professor David Klemperer, »bezeichnet einen Zustand und nicht ein Verhalten«. Dieser Zustand liege stets vor, »wenn materielle oder soziale Vorteile in einem Spannungsfeld zu den primären ärztlich-ethischen Zielsetzungen stehen«, erläutert Klemperer, der an der Fachhochschule Regensburg Sozialmedizin lehrt.

Zwar gibt es reichlich ExpertInnen, die sagen, Geld und Anerkennung würden sie nicht beeinflussen. Aber Klemperer, der auch Vorsitzender des Deutschen Netzwerkes Evidenzbasierte Medizin (DNEbM) ist, warnt: »Interessenkonflikte können das Urteilsvermögen beeinträchtigen.« Jeder, der sich für Beziehungsgeflechte von ExpertInnen interessiere, solle sich selbst ein Bild machen können. Deshalb fordert Klemperer die Einrichtung öffentlich zugänglicher Register, in denen Personen und Organisationen über Sachverhalte Auskunft geben, die beeinflussend wirken könnten – zum Beispiel: haupt- und nebenberufliche Tätigkeiten, damit verbundene (Zeit-)Aufwändungen und Bezahlungen, außerdem Selbsteinschätzungen zu »gefühlter Beeinflussung«.

  • Beispielhaft

Der Professor ist mit gutem Beispiel voran gegangen. Auf seiner Homepage steht nämlich schon ein tabellarisches »Interessenregister«. Unter anderem erfährt man dort, dass er seine Mitgliedschaften in diversen Beratungsgremien durchaus als »Imagegewinn« wertet. Und dass er 240 Euro für einen Aufsatz (zeitlicher Aufwand: »zwei Wochen«) erhalten hat, der im Deutschen Ärzteblatt (DÄB) ausgebreitet hat, was Interessenkonflikte sind und wie sie das ärztliche Urteilsvermögen gefährden.

Klemperers – eher geringen – Nebeneinnahmen sind für Medizinprofessoren sicher nicht repräsentativ, und schon gar nicht sein transparenter Umgang damit. Immerhin, die Sensibilität ist in Fachkreisen gewachsen, das gilt auch für das DÄB, das Bundesärztekammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gemeinsam herausgeben. Seit 2005 werden hier alle AutorInnen wissenschaftlicher Artikel gebeten, eine schriftliche Erklärung zu möglichen »Interessenkonflikten« abzugeben, deren Inhalt auch am Ende des eingereichten Manuskripts gedruckt wird. Offen gelegt werden sollen insbesondere finanzielle Verbindungen zu Unternehmen, »deren Produkte im Artikel mittelbar oder unmittelbar berührt sind«. Gibt der Autor keinen Interessenkonflikt an, wird auch diese Selbsteinschätzung veröffentlicht.

Über erste Erfahrungen mit diesem Verfahren berichtete das DÄB im Oktober 2008. Der Leiter der Medizinisch-Wissenschaftlichen Redaktion, Privat-Dozent Dr. med. Christopher Baethge, bilanzierte unter der Überschrift »Transparente Texte« (Heft 40, Seiten 675-679): “In den Jahren 2006 und 2007 bestand bei 65 von 207 Original- und Übersichtsartikeln (31,4 %) in der Rubrik Medizin des Deutschen Ärzteblattes ein Interessenkonflikt bei mindestens einem der Verfasser.« Dabei habe es sich »ganz überwiegend« um »finanzielle Verbindungen zur pharmazeutischen Industrie« gehandelt.

  • »Kein anderer Weg«

Artikel von »gesponserten Autoren« grundsätzlich nicht zu drucken, wie dies ein niedergelassener Arzt und _DÄB_-Leser im Jahr 2006 angeregt habe, findet Baethge falsch; ein Interessenkonflikt gehe keineswegs immer einher mit einem Fehlverhalten. Bei der Bewertung solle man zudem »im Auge behalten, dass eine Kooperation von Klinikern und Wissenschaftlern etwa mit der pharmazeutischen Industrie oder den Herstellern von Medizinprodukten oft wünschenswert und zum Teil auch unverzichtbar ist«, schreibt Baethge, der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ist und am Universitätsklinikum Köln lehrt und forscht.

»Was tun?« fragt Baethge rhetorisch und gibt die folgende Antwort: »Da es nicht gerechtfertigt ist, Artikel allein aufgrund der Interessenkonflikte ihrer Autoren abzulehnen, gibt es außer dem kritischen Lesen keinen anderen Weg, um herauszufinden, wann ein Artikel wirklich verzerrt ist.«

Dieser Hinweis an die LeserInnenschaft, der selbstverständlich auch für andere Fachzeitschriften gilt, ist ernst zu nehmen. Wer auf den Wissenschaftsseiten des DÄB einen interessanten Artikel über Krankheiten, Therapieoptionen oder medizinische Leitlinien zur Kenntnis genommen hat, sollte in den folgenden Wochen und Monaten regelmäßig auch die kleine Rubrik »Berichtigung« anschauen. Dort findet man nicht nur Korrekturen sinnentstellender Druckfehler. Es tauchen auch immer mal wieder nachgereichte Erklärungen zu Interessenkonflikten auf, die AutorInnen beim Abgeben ihres Originalmanuskripts wohl vergessen hatten.

  • Vergessliche Professoren

Etwa jener Professor, der über »Impfsicherheit heute« schrieb und ausweislich der Berichtigung nun einräumt, Vortragshonorare bestimmter Impfstoffhersteller erhalten zu haben. Oder eine Autorengruppe, die über eine Klinische Leitlinie zum kolorektalen Karzinom (Darmkrebs) informierte, pharmazeutische Therapien inklusive. In diesem Fall füllten die verspätet aufgelisteten Interessenkonflikte vergleichsweise viele Zeilen: Allein dem Hauptverfasser war noch eingefallen, dass er Honorare von drei großen Pharmafirmen für »beratende Tätigkeit« kassiert hat, außerdem Referentenhonorare bei diesen drei und vier weiteren, namentlich ebenfalls genannten Unternehmen. Durch wen oder was Berichtigungen veranlasst wurden, teilt die _DÄB_-Redaktion leider regelmäßig nicht mit – dabei könnte auch ein solcher Hinweis durchaus dazu beitragen, Strukturen klarer zu sehen.

Wohl gemerkt: Die _DÄB_-Redaktion, deren Blatt ja auch gratis im Internet zu lesen ist und schon deshalb medizinisch interessierte Laien erreicht, ist um Transparenz bemüht. Aber was machen in dieser Hinsicht eigentlich die _DÄB_-Herausgeber, namentlich die Bundesärztekammer? Die BÄK veröffentlicht zum Beispiel Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen, die auch politisch Wirkungen zeitigen, mitunter prägen sie die Rechtsprechung maßgeblich mit.

BÄK-Richtlinien stehen im Wortlaut auf den Internetseiten der Kammer. Ihre Inhalte sind weit gefächert, und sie berühren selbstverständlich nicht nur das Leben von ExpertInnen: Die Richtlinienpalette reicht von Vorgaben zur Feststellung des »Hirntods« über Richtlinien zur pränatalen Diagnostik bis hin zur Qualitätssicherung labormedizinischer Untersuchungen. Die WissenschaftlerInnen, die an solchen Richtlinien mitgeschrieben haben, werden in den Dokumenten in der Regel aufgelistet. Mehr aber auch nicht: Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, ob und welche Interessen die honorigen ExpertInnen leiten (könnten), muss mühsam selbst recherchieren.

  • Hoffentlich kein Armutszeugnis

Viel Zeit und einiges Knowhow vorausgesetzt, würde man wohl manch sachdienlichen Hinweis finden – darauf deutet auch diese Überschrift hin: »Medizinische Leitlinien: Jeder dritte Autor hat Interessenkonflikte«. Zu lesen war sie im November 2005 im DÄB, berichtet wurde über eine Untersuchung des britischen Fachblattes Nature. Dessen RechercheurInnen hatten sich die Mühe gemacht, über 200 Leitlinien unter die Lupe zu nehmen, die 2004 auf den Seiten des US-National Guideline Clearinghouse veröffentlicht waren. »Nur 90 dieser Leitlinien«, übersetzt _DÄB_-Autor Rüdiger Meyer das Kernergebnis der Nature-AutorInnen Rosie Taylor und Jim Gilese, »machten Angaben zu möglichen Interessenkonflikten ihrer Autoren; und von diesen seien nur 31 frei davon gewesen.«

Eine Studie, die endlich mal Leitlinien-AutorInnen und ihre Vernetzungen in Deutschland systematisch beleuchtet, gibt es noch immer nicht; öffentliche Interessenregister à la Klemperer, die entsprechende Untersuchungen unterstützen könnten, fehlen auch. Zwecks Abwehr solcher Forderungen nach Transparenz wird mitunter vorgebracht, diese Arbeit und das notwendige Geld dafür könne man sparen, weil es in diversen Medizinbereichen sowieso kaum noch ExpertInnen ohne Interessenkonflikte gebe. Das wäre – wenn es wirklich stimmen sollte – ein Armutszeugnis.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2010
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