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LINDE PETERS, Biochemikerin mit Homepage zur Gentechnikkritik

Anreize für die Pharmaindustrie

  • Auch die Entwicklung von Arzneimitteln gegen seltene Krankheiten kann finanziell einträglich sein

aus: BIOSKOP Nr. 24, Dezember 2003, Seiten 10+11

Wer ein neues Medikament auf den Markt bringen will, muss in seine Entwicklung viel Geld investieren. Um Absatz- und Gewinnmöglichkeiten ihrer Präparate potenziell zu steigern, konzentrieren die großen Arzneimittelhersteller ihre Forschung auf so genannte »Volkskrankheiten«: Herz-Kreislaufleiden, Arthrose, Alzheimer, Parkinson. Doch Anreize gibt es auch zur Produktion von Arzneien gegen seltene Erkrankungen.

Die ökonomische Sicht der Dinge brachte der Forschungsleiter des Pharmariesen Hoffmann-La Roche, Jürgen Drews, schon vor zehn Jahren auf den Punkt: Die medizinische Notwendigkeit zur Erforschung mancher Arzneimittel und das unternehmerische Ziel des wirtschaftlichen Ertrags ließen sich nicht mehr vereinbaren, behauptete Drews.

In den USA gibt es seit 1983 eine Regelung, die das Entwickeln von Medikamenten für seltene Krankheiten finanziell begünstigt. Die Bezeichnung dafür, »Orphan Drugs«, zu deutsch: »Waisen-Medikamente«, ist nicht gerade glücklich gewählt, hat sich aber eingebürgert. Eine ähnliche Vorgabe gibt es seit 1993 in Japan, und im Jahr 2000, nach jahrelangem Tauziehen und vielen durchgefallenen Entwürfen, zog die Europäische Union (EU) per Verordnung nach.

Orphan-Drug-Status kann ein Medikament in der EU erhalten, wenn die zu behandelnde Krankheit nicht häufiger auftritt als bei 5 von 10.000 Einwohnern. 5.000 solcher Krankheiten gibt es, betroffen sein sollen hierzulande insgesamt vier Millionen Menschen, europaweit sogar bis zu 30 Millionen. Auch wenn die einzelne Krankheit selten ist, leben insgesamt also viele Menschen damit. Ziel der Programme ist es, die Erforschung seltener Krankheiten anzuregen, um Medikamente dagegen zu entwickeln.

  • Klinische Versuche

Als Anreize dienen sollen Ermäßigung oder Erlass der Anmeldegebühren, die bis 500.000 Euro betragen können; Steuerermäßigungen, Subventionen und – vielleicht das Wichtigste – ein Verwertungsmonopol für zehn Jahre. In diesem Punkt geht die europäische Regelung deutlich über das US-amerikanische Vorbild hinaus, das nur sieben Jahre gewährt.

Ein großes Problem bei seltenen Krankheiten sind die klinischen Versuche. In den USA sind bei Orphan-Drugs nur die Versuche der Phasen I und II vorgeschrieben. Phase I bezeichnet die krankheitsunspezifische Prüfung auf allgemeine Verträglichkeit. In Phase II wird getestet, ob das Mittel die gewünschte pharmakologische Wirkung überhaupt hat. Phase-III-Versuche, die aufwändigsten von allen, sollen die richtige Dosierung und die beste Verabreichungsform ermitteln. Der Verzicht auf Phase-III-Versuche bei seltenen Krankheiten ist aber nicht nur eine Kostenfrage. Oft ist es schwierig, genügend PatientInnen zu finden, um die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen.

  • Schlupflöcher mit Folgen

Was für die Behandlung von seltenen Krankheiten notwendig erscheint, kann für andere Medizinbereiche ein gefährlicher Türöffner sein. Die Kosten für klinische Versuche sind in der Vergangenheit besonders stark gestiegen. In den 80-er Jahren umfassten sie im Schnitt 1.300 ProbandInnen. Heute sind es 4.000, und die Arzneimitteltests dauern länger. Denn heute werden mehr Präparate für komplexe oder chronische Krankheiten entwickelt, die aufwändigere Versuchsanordnungen und längere Beobachtungszeiten erfordern. Die Industrie fordert, die Auflagen für klinische Versuche zu verringern und durch eine besondere intensive Beobachtung der PatientInnen in der ersten Verabreichungszeit zu ersetzen. Neben einem erhöhten Risiko für die KonsumentInnen bedeutet dies, dass die Kosten vom Gesundheitswesen getragen würden und nicht mehr vom Hersteller des Medikaments.

In den USA avancierten einige der ursprünglichen »Waisen« zu Rennern mit Milliarden-Umsätzen, darunter das Blut bildende Hormon Erythropoietin und das Brustkrebsmittel Herceptin. Diesen Subventionsmissbrauch hat man in Europa offenbar vermeiden wollen, denn bei der europäischen Regelung ist eine Überprüfung des Status nach fünf Jahren vorgesehen. Wirft das Orphan-Drug-Präparat gute Gewinne ab, genügt der Antrag eines der EU-Staaten, um das Monopol nach dem sechsten Jahr aufzuheben. Außerdem wird der Verwertungsschutz begrenzt, wenn eine andere Firma ein wirksameres oder sichereres Mittel anbietet.

  • Doppelter Mangel mit Folgen

Trotz dieser Vorsicht und der langen und zähen Vorgeschichte gibt es in der EU-Regelung Schlupflöcher für extreme Bereicherungen. 1998 hatten ExpertInnen gefordert, dass im Gegenzug für die günstigen Bedingungen die Grundlagen für die Preisgestaltungen der Orphan-Drugs offen gelegt werden sollten. In England ist dies seit langem üblich. Dort müssen für jedes neue Medikament die Kosten für Entwicklung und Produktion veröffentlicht und die Preise mit dem Gesundheitsministerium ausgehandelt werden; Arzneien sind dort um ein Drittel billiger als in Deutschland. Trotz dieses Beispiels wurde die Forderung im EU-Rahmen nicht erfüllt. Außerdem muss der Anmelder das Mittel nicht selbst erarbeitet haben.

Dieser doppelte Mangel hat Folgen. In einer englischen Stadt mussten zwei Kinder mit einer Stoffwechselkrankheit, die durch eine preiswerte Chemikalie behandelt werden kann, zur Infusion ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der bisherige Lieferant für die lebenserhaltende Chemikalie darf sie nicht mehr verkaufen, weil eine französische Pharmafirma die Alleinrechte unter der Orphan-Drug-Regelung beansprucht und den Preis pro Jahr von 700 bis 1.500 Pfund (je nach Dosierung) auf 80.000 bis 106.000 Pfund erhöht hat. Das ist nicht der einzige Fall dieser Art von Piraterie. Auch für drei andere, ebenfalls relativ einfache und lange eingeführte Chemikalien haben Firmen Orphan-Drug-Rechte erhalten und die Preise auf das 10- bis 30fache erhöht.

  • Vermehrung von Krankheiten

Die neue Strategie, Krankheiten auslösende Mechanismen bis auf die molekulare Ebene zu verfolgen, hat in einigen Fällen bereits dazu geführt, dass Krankheitsbilder, die bislang als einheitlich galten, sich als unterschiedliche gesundheitliche Störungen herausstellten, die auch unterschiedliche Therapien erfordern. So können aus einer Krankheit mehrere werden, jede mit einem Anspruch auf einen Orphan-Drug-Status. Das gilt besonders für den Brustkrebs, aber auch für myotone Muskeldystrophie sind zwei unterschiedliche Formen gefunden worden. Für die Zukunft erwarten ExpertInnen viele solcher Aufsplittungen. Man spricht bereits von einer »Orphanisierung« der Krankheiten.

Auf einem Kongress von EuroBio, dem europäischen Pharma-Verband, hieß es 1999, nun könne man für Bluter-Kranke einen Gerinnungsfaktor in der Milch gentechnisch veränderter Schafe herstellen; dieses Orphan-Drug-Medikament werde den PatientInnen sehr nutzen. Dann zeigte der Referent ein Dia mit der Aufschrift »Gene Peace statt Greenpeace«. Das war voreilig. Die Produktion von Medikamenten in Milch hat sich inzwischen als Flop erwiesen. Die führende Firma auf diesem Gebiet, PPL aus Schottland, hat den Produktionszweig aufgegeben und ihre 4.000 Schafe zählende Herde geschlachtet. Sheep Peace statt Gene Peace?

© Linde Peters, 2003
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