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Life & Brain GmbH

Ein bekannter deutscher Stammzellforscher ist Prof. Oliver Brüstle. Der Neuropathologe will langfristig Therapien für Krankheiten wie Parkinson, Epilepsie und Multiple Sklerose entwickeln. Mitwirken soll dabei die Life & Brain GmbH, ein Unternehmen, das Brüstle und drei weitere Professoren 2002 gegründet haben – mit Hilfe der SteuerzahlerInnen: Gerätepark und Gebäude in Bonn sollten 35 Millionen Euro kosten – Gelder, die laut Uni Bonn »zum größten Teil aus dem Bonn-Berlin-Ausgleich und vom Land Nordrhein-Westfalen stammen«. Zu den Betriebskosten, kalkuliert mit jährlich sieben Millionen Euro, steuere die Uni als Life & Brain-Mitgesellschafter pro Jahr vier Millionen Euro bei. Perspektivisch solle sich die Firma »aber selbst tragen und Gewinne erwirtschaften« – »durch selbst eingeworbenes Kapital, Lizenzgebühren und angeschlossene Verwertungsgesellschaften«.

Therapieerfolge konnte GmbH-Geschäftsführer Brüstle bislang nicht vermelden, und wie Life & Brain sich finanziell entwickelt hat, erfährt die Öffentlichkeit auch nicht auf der Firmenhomepage www.lifeandbrain.com. In der Rubrik »Presse« standen im Juni 2008 keine Mitteilungen, sondern ein Artikel aus der Financial Times Deutschland vom 19. April 2005, Überschrift: »Gewinn mit Gehirn«. Autorin Edda Grabar zitiert Brüstle mehrfach, u.a. zu Karriereaussichten junger Uni-Wissenschaftler: »Sie können in die GmbH wechseln, um ihre Erkenntnisse weiter zu marktreifen Produkten zu entwickeln und Kooperationen mit anderen Firmen einzugehen.«

Klaus-Peter Görlitzer (Juni 2008)



ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Monopoly mit Stammzellen

  • Verheißungen, Patente, Lizenzen, Verwertungsverträge – ökonomische Motive bestimmen die Forschung

aus: BIOSKOP Nr. 42, Juni 2008, Seiten 14+15

Viel wird über Stammzellforschung geschrieben und gesprochen. Kern der Argumente für großzügige wie auch für striktere Regeln zum Umgang mit embryonalen Stammzelllinien sind deren »moralischer Status« sowie variierende Einschätzungen, ob mit diesen Substanzen jemals verwirklicht werden kann, was unentwegt verheißen wird: Therapien für bisher unheilbare Krankheiten. Aus dem Blick geraten sind ökonomische und eigentumsrechtliche Motive im Stammzellmonopoly.

Im April hat der Bundestag das Stammzellgesetz aus dem Jahr 2002 neu gefasst, Ende Mai stimmte auch der Bundesrat zu. So dürfen WissenschaftlerInnen nun embryonale Zelllinien für eigene Grundlagenforschung bestellen und nach Deutschland einführen, vorausgesetzt, sie wurden vor dem 1. Mai 2007 in ausländischen Laboratorien hergestellt. Bisher galt der 1. Januar 2002 als Stichtag. Strafrechtliche Schranken für ForscherInnen, die in internationalen Teams engagiert sind und deren Handlungsspielraum weit über die bundesdeutschen Regeln hinausgehen, sind weitgehend gefallen. Damit folgte die Mehrheit im Parlament den Mindestforderungen der hiesigen Wissenschaftslobby.

In den hitzigen Debatten um aufgeladene Prinzipien wie »Embryonenschutz« und »Forschungsfreiheit« wird den tatsächlichen, internationalen Verhältnissen wenig Beachtung geschenkt. Als Pionier im Stammzellsektor gilt James A. Thomson. 1998 isolierte und kultivierte er embryonale Stammzellen und avancierte zum weltweiten Medienstar. Im selben Jahr wurde Thomson Forschungsdirektor am WiCell Research Institute in Madison im US-Staat Wisconsin. Das Institut beliefert WissenschaftlerInnen weltweit mit embryonalen Stammzelllinien und bietet derzeit fünf Zelllinien über ein Register an, das von der US-Behörde für biomedizinische Forschung, den National Institutes of Health (NIH), geführt wird. Um Patente und Lizenzen kümmert sich die Wisconsin Research Foundation (WARF) an der örtlichen Universität. Finanziert wurden die Forschungen in Wisconsin vom Unternehmen Geron. Die Biotechfirma offeriert ebenfalls über das US-amerikanische Register modifizierte Zelllinien an und hat sich umfassende Kommerzialisierungsrechte von WARF gesichert.

  • Umfassender Patentschutz

Die bioindustrielle Koalition zwischen Thomson, WiCell, WARF und Geron ist weitreichend. Auch die Harvard University und die University of California in San Francisco bieten den begehrten Rohstoff im NIH-Register an. Wer in diesen beiden Unis was mit den Stammzellen tun darf, bestimmt diese Koalition. Sie hat sich in der Aufbauphase des Stammzellsektors umfassenden Patentschutz organisiert: für die Zellen selbst, für die Herstellungsverfahren, für zukünftige Anwendungen. WARF verdient mehr als 3,2 Millionen Dollar mit Patenten und rund 900 Lizenzen, die bis zum Jahr 2015 gültig sind. Universitäten aus aller Welt erhalten die Zelllinien für 500 Dollar. Sehr viel teurer ist es für Unternehmen, sie müssen pro Lieferung mit 125.000 Dollar rechnen. Wer Lizenzrechte kaufen will, muss zwischen 200.000 und zwei Millionen Dollar bezahlen. Geron beansprucht, laut eigenem Jahresbericht 2007, insgesamt 230 Patentanwendungen, für Zelltypen, für Verfahren der Stammzelltechnologie und für Methoden des Zellkerntransfers.

Unumstritten sind die Patente nicht. In den USA haben Verbraucherorganisationen, aber auch die Harvard Universität dagegen geklagt. Die jüngsten Gerichtsentscheide haben die Patentansprüche von WARF jedoch bestätigt. Anders das Europäische Patentamt (EPA): Es hat umfassende Ansprüche abgelehnt, das gilt sowohl für WARF als auch für Patente der schottischen Universität Edinburgh und des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle. Nun soll die Große Beschwerdekammer des EPA sich erneut damit beschäftigen. Die Verfahren können sich über Jahre hinziehen.

  • Klagen und Beeinträchtigungen

Mittlerweile verlangen die Lizenzabteilungen an Universitäten sogenannte Material Transfer Agreements (MTA), wenn Zellmaterial, Proteine, Bakterien, transgene Tiere oder andere Chemikalien ihre Laboratorien verlassen. Mit und auch bevor Patentansprüche existieren, schreiben diese Verträge vor, wer die Substanzen unter welchen Konditionen nutzen darf und wem sie gehören. Alle AnbieterInnen embryonaler Stammzelllinien bedienen sich solcher Abkommen. WiCell, Geron, die Universitäten von Harvard, Kalifornien oder Tel Aviv beispielsweise sichern sich damit alle Eigentumsrechte am Material und an zukünftigen Entwicklungen, die womöglich mit Hilfe der verkauften Stammzelllinien entstehen. Die Verträge schließen kommerzielle oder auch von privatwirtschaftlichen AkteurInnen gesponserte Forschung aus, und sie bestimmen die Konditionen für wissenschaftliche Publikationen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und hiesige WissenschaftlerInnen klagen über solche Einschränkungen, die besonders jene Stammzellen betreffen, die vor dem Jahr 2001 fabriziert wurden und nicht selten Eigentum des Triumvirats WiCell, WARF und Geron sind. Professor Wolfgang-Michael Franz vom Klinikum Großhadern in München konstatierte im Mai 2007 anlässlich der Stammzellforschungsanhörung im Bundestag: »Als Beispiel soll unsere eigene Situation genannt werden, die dem ausländischen Zelllieferanten (‘Provider’) allein für die Bereitstellung des Zellmaterials 50 % Anteil an allen Ergebnissen, das heißt an möglichen Publikationen sowie Patenten zuspricht. Von anderen sogenannten ‘Providern’ ist uns bekannt, dass sie sich vertraglich die Gewährung eines Einspruchs- oder Verzögerungsrechtes bei Publikationen und Patenten zusichern lassen.« Für Forscher wie Oliver Brüstle, der wie Thomson nicht nur Wissenschaftler ist, sondern auch Unternehmer, dürften solche Beschränkungen auf Dauer ein Ärgernis sein. Für Brüstle als Geschäftsführer der Life & Brain GmbH sind Eigentumsoptionen und industrielle Drittmittel perspektivisch unerlässlich.

  • Wacklige Monopole

Die frühen Monopole wackeln – nicht allein wegen Patentstreitigkeiten mit unbekanntem Ausgang. Neue Anbieter engagieren sich im europäischen Stammzellsektor. Zum Beispiel überlässt VL-Medi Oy aus Helsinki gemäß Material Transfer Agreement die Eigentumsrechte an kommerziell nutzbaren Produkten dem »Empfänger«. Die finnische Firma behält sich lediglich vor, informiert zu werden und die Zellsubstanzen ohne Restriktionen auch an andere weiter reichen zu dürfen. Neue Stammzellregister wie die UK Stem Cell Bank und das International Stem Cell Forum bieten diese und weitere Zelllinien mit günstigen Eigentumsregeln und kommerziellen Nutzungsperspektiven an. Mehrheitlich wären sie unter dem bisher geltenden Stammzellgesetz für deutsche Institute nicht importfähig gewesen.

Unter der Leitung von Joeri Borstlap vom Berlin-Brandenburg Centrum für Regenerative Therapie, angesiedelt am Uniklinikum Charité, sowie Anna Veiga von der Stammzellbank in Barcelona, entsteht gerade das European Human Embryonic Stem Cell Registry, das zwar keine Zellbank, aber ein Informationspool ist. Finanziert über das Rahmenforschungsprogramm der Europäischen Kommission sind hier Informationen über 176 Stammzellinien versammelt; zudem wird unter diesem Dach ein Netzwerk von derzeit zwölf europäischen Forschungsprojekten aufgebaut. Schon wurden Vorschläge laut, nur noch die Verwendung von Rohstoffen, die in diesem Register stehen, in Deutschland oder auch für EU-finanzierte Projekte zuzulassen.

  • »Hohes Potenzial«

Das Stammzellmonopoly ist in Bewegung. Geron machte im ersten Quartal dieses Jahres 13,7 Millionen Dollar Verlust. Das Konkurrenzunternehmen ESI aus Singapur soll die Arbeit mit embryonalen Stammzellen ganz aufgegeben haben. James A. Thomson hat eine neue Firma namens Cellular Dynamics International (CDI) gegründet. Sie soll embryonale Stammzelllinien einsetzen, um neue Wirkstoffe für die Entwicklung von Medikamenten zu finden. Ein »hohes Potential« auf diesem Gebiet sieht auch Professor Hans Schöler, Geschäftsführender Direktor Zell- und Entwicklungsbiologie am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster.

Ohne pharmazeutische Unternehmen und der jetzt erfolgten Neufassung des Stammzellgesetzes, das noch mehr embryonale Substanzen für privatwirtschaftliche Verwertungsinteressen zugänglich und nutzbar macht, könnte dieses »Potenzial« sicher nicht genutzt werden.

© Erika Feyerabend, 2008
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