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ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Zukunftsweisende Überraschungen aus dem Labor

aus: BIOSKOP Nr. 15, September 2001, Seiten 1+2

Bis vor kurzem noch gänzlich unbekannt, stehen sie nun auf der Bühne der Weltöffentlichkeit: der Klon und die Stammzelle. Als Medienstars, als Gegenstand moralischer Erwägungen und politischer Verhandlungen, als unbestreitbar reale Objekte der Rechtsprechung und der Bio-Ökonomie machen die beiden Laborerzeugnisse unablässig Karriere.

Die Dramaturgie der jüngsten Ereignisse im Fortschrittsland USA beeindruckt. Am Beginn stand ein Gesetzentwurf des Repräsentantenhauses, der sich jenem Klon widmet, der über die Fusion von Ei und Samenzelle entsteht. Diese besondere Klontechnik soll verboten werden – sei es zum Zwecke der Fabrikation eines Menschen oder für die Produktion von Stammzellen. Kurz danach suchten VertreterInnen eines gerade gegründeten »internationalen Klon-Konsortiums« an prominenter Stelle die Aufmerksamkeit der Medien. Vor der renommierten Akademie der Wissenschaften in Washington D.C. kündigten sie Klonexperimente an. Die versammelte Wissenschaftlergemeinde nutzte ihrerseits die Gunst der Stunde und demonstrierte Willen zur Grenzziehung und zum rationalen Diskurs. »Reproduktives Klonen? Ethisch verwerflich und wissenschaftlich nicht ausgereift«, lautet ihr vorläufiger Konsens. Im dritten Akt der Aufführung erschien George W. Bush. Der US-Präsident empfahl eine neue Förderpolitik: Bereits vorhandene Stammzell-Kulturen, so Bushs Votum, dürfen mit staatlichen Geldern auch zukünftig bearbeitet werden. Dagegen sollen tiefgefrorene oder exklusiv hergestellte Embryonen nicht als Ausgangsstoffe für die Stammzell-Produktion herhalten dürfen. Gleichzeitig wird der Umgang mit Materialien, die aus den Körpern geborener Menschen, aus Tieren oder der Nabelschnur gewonnen werden, mit Millionenbeträgen gepusht.

Spätestens seitdem 1997 das Schaf »Dolly« der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist der Klon Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden – als Sorge um das geklonte Selbst und als therapeutischer Hoffnungsträger.

Wie immer man nun das machtpolitische Lavieren zwischen Fortschrittseuphorie und Embryonenschutz einschätzt: Klon und Stammzelle sind zur unhintergehbaren, »öffentlichen Tatsache« geworden. Wie konnte das passieren? Spätestens seitdem 1997 das Schaf »Dolly« der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist der Klon Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit geworden – als Sorge um das geklonte Selbst und als therapeutischer Hoffnungsträger. Seit 1998 Forscherteams in den USA glaubhaft machten, dass Stammzellen aus Retorten-Embryonen oder abgetriebenen Föten zu isolieren und zu vermehren seien, explodieren Berichte über Experimente und neues Wissen. Erste Ansätze einer Stammzell-Industrie werden sichtbar. Die aktuell kursierenden Therapieaussichten sind zum alleinigen Motiv der Forschung geworden. Körperersatzstoffe für hoffnungslos Kranke aus Stammzellen zu fabrizieren, das scheint die Wissenschaft beim Hantieren mit Embryonen und Keimzellen von Beginn an fasziniert zu haben. Die guten Absichten führten geradezu in eine »therapeutische« Zukunft, lautet die Verheißung. Offen sei nur noch, wann sie erreicht werde.

Am Laborerzeugnis Stammzelle erneuern sich Fortschrittsglaube und Heilungsbehauptung. Marktkonkurrenzen entstehen, machtpolitische Manöver werden ausgetragen.

Die Biographie der selbstverständlich gewordenen Objekte reicht wesentlich weiter zurück. Sie beginnt nicht erst mit dem Erscheinen im öffentlichen Raum, als herstellbares Ding und definierter Begriff, als verkörperte Idee von Heilungsmotiven und molekularem Wissen. WissenschaftlerInnen bewegen sich ständig an Grenzen zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Dort findet die tastende Suche nach Neuem statt. In standardisierter Umgebung, mit bekannten Werkzeugen, Modellorganismen und gefestigten Wissensbeständen müssen dennoch ständig Innovationen erzeugt werden. Hier regieren Zufall, Abfall, Provisorisches und Vorläufiges.

WissenschaftlerInnen experimentieren, suchen nach neuen Versuchsanordnungen, probieren herum, irren sich und machen zufällige Beobachtungen. Das gehört zu ihrem Beruf und ist ihr höchstes Glück. Forschung, meint der Molekularbiologe und Wissenschaftshistoriker Hans-Jörg Rheinberger, ist ein »Generator von Überraschungen«, der permanent Zukunft produziert. Das ist Fortschritt.

So entstehen aus unklaren Ideen, interpretationsbedürftigen Materialien und vielen Irrtümern auf verschlungenen Pfaden neue Objekte und Begriffe – zunächst einmal im Labor wie im innerwissenschaftlichen Gedankenverkehr. Manche verfügen über ein solch enormes Ausbreitungspotenzial, dass sie das gesamte Feld der Wissenschaft – und der Gesellschaft – formen. Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist ein Ding dieser Art. Kaum ein Forschungszweig kommt heute ohne sie aus. Genügend Fragen sind offen geblieben und treiben unzählige Laborteams an. Gesellschaftlich ist die DNA bereits eine klar umschriebene, wissenschaftlichen Ikone geworden. Im Nachhinein wird ihre Vergangenheit neu gelesen und ist fortan bevölkert von genialen Entdeckern und guten Absichten.

Im Spiel um Möglichkeiten des Wissens sind die Forscher längst nicht mehr die alleinigen Herren. Patentanwälte, Firmen und Drittmittelgeber, Minister und Präsidenten, Nachrichtensender und organisierte Krankengruppen bestimmten die Geschäftsbedingungen mit.

Die tastende Suche nach Neuem führte in den Laboratorien des Befruchtungssektors zur embryonalen Stammzelle. Im Standard-Mäusemodell begann bereits vor Jahrzehnten ihre Existenz. Verschiedene Plastikschalen und Nährlösungen, technische Geräte und Manipulationsverfahren wurden erprobt. Eine provisorische Liste über vage zugeschriebene »Fähigkeiten« entstand. Besonders die Option, genetisch identische Zellen zu bilden – Klone also – und Tumore zu erzeugen, erregte die Aufmerksamkeit. Die aktuelle Bestandsaufnahme im wissenschaftlichen Raum zeugt davon, dass auch die adulte Stammzelle attraktiv geworden ist. Sie ist noch immer recht unbekannt. Sicher ist nur: Es gibt viele Forschungsfragen und die Antworten halten große Versprechen für die Zukunft bereit.

Es sind gerade die vielen offenen Fragen, die das Ausbreitungspotenzial des begehrten Objektes erhöhen. Seine wissenschaftliche Karriere spielt sich heute längst nicht mehr allein im Sektor der Klon-Gemeinde ab oder im Gebiet der Transplantationsexperten und Gewebeproduzenten. Die Stammzelle – ob adult oder embryonal – ist über Disziplinengrenzen hinweg zum Forschungsattraktor erster Güte geworden: in der Hirn- und Krebsforschung; bei der Suche nach angeborenen Abweichungen – also für genetische Werturteile; in der Gen»therapie« genannten genetischen Manipulation am Menschen; in der Medikamentenentwicklung und beim Test von Giftstoffen aller Art. Aus der molekularen Forschungslandschaft ist die Stammzelle nicht mehr wegzudenken. Sie ist fester Bestandteil der experimentellen Suche nach Neuem geworden.

Auch die Stammzelle ist bereits ausgewandert und zur wirklichkeitsmächtigen Ikone geworden. Im Spiel um Möglichkeiten des Wissens sind die Forscher längst nicht mehr die alleinigen Herren. Patentanwälte, Firmen und Drittmittelgeber, Minister und Präsidenten, Nachrichtensender und organisierte Krankengruppen bestimmten die Geschäftsbedingungen mit. Sie machen aus der Stammzelle eine wahre, eine unumstößliche Tatsache. Gegenwärtig erneuern sich an diesem Laborerzeugnis Fortschrittsglaube und Heilungsbehauptung. Marktkonkurrenzen und Börsenspekulationen entstehen, machtpolitische Manöver werden ausgetragen. Fernab von Wahrheitssuche und guter Absicht wird die Gesellschaft umfassend geformt vom System der Biowissenschaften und ihren zukunftsweisenden Überraschungen.

© Erika Feyerabend, 2001
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