BioSkop unterstützen! Kontakt Über uns

Nachrichten aus der Wirtschaft

Zur Pflichtlektüre vieler Kapitalanleger gehören die Wirtschaftsseiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Am 22. März 2011 berichtete die FAZ über Aktivitäten und Zahlen der Vita 34 AG. Die private Nabelschnurblutbank habe »das beste Geschäftsjahr seit der Gründung 1997« zu verzeichnen; ihr Umsatz sei um 12 Prozent auf 17 Millionen Euro gewachsen und das Vorsteuerergebnis habe sich auf 700.000 Euro »verdreifacht«. Zudem erfuhr die FAZ vom Vita-34-Vorstandsvorsitzenden Eberhard Lampeter, dass die von ihm selbst gegründete Firma »allein im vergangenen Jahr« rund 11.000 neue KundInnen gewonnen habe. Und auch in punkto Forschung tue sich was: »Die erste klinische Studie« zum Einsatz von Nabelschnurblut in der Diabetes-Therapie laufe »zurzeit«, wurde Lampeter von der FAZ zitiert.

Die in Leipzig ansässige Vita 34 AG vermarktet neben dem Einlagern von Nabelschnurblut zusätzlich ein so genanntes Vorsorge-Screening auf Gesundheitsrisiken. Das findet die Wirtschaftsredaktion aus Frankfurt a.M. offenbar clever. »Sein Unternehmen«, schreibt die FAZ über Lampeter, »zeigt gerade, wie sich das Geschäftsmodell erweitern lässt: Rund ein Viertel der Eltern entscheidet sich für einen zusätzlichen DNA-Test, um die Wahrscheinlichkeit typischer Erbkrankheiten wie Laktoseintoleranz überprüfen zu lassen.«

Klaus-Peter Görlitzer (September 2011)



MARTINA KELLER, Journalistin

Zuviel versprochen

  • Private Nabelschnurblutbank Vita 34 darf nach Gerichtsurteil nicht mehr mit Heilung werben

aus: BIOSKOP Nr. 55, September 2011, Seiten 6+7

Das Oberlandesgericht Dresden hat dem Leipziger Unternehmen Vita 34 irreführende Werbung für eingelagertes Nabelschnurblut untersagt. Noch immer finden sich allerdings fragwürdige Anpreisungen auf der Website der börsennotierten Firma.

Vita 34 hat werdenden Eltern und künftigen Kunden nicht gerade wenig versprochen: Eingelagertes Nabelschnurblut sei »eine einzigartige Gesundheitsvorsorge«, im Krankheitsfall stehe es »rasch zur Verfügung« und sichere dem Kind »die Chance für einen gesundheitlichen Neuanfang – ein Leben lang«. »Früher oder später« gebe es »in fast jedem Leben Situationen, in denen man eigene, gesunde Stammzellen zur Hilfe und Regeneration dringend nötig hätte«. Versprechungen wie diese fielen der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs auf. Die Kontrolleure aus Bad Homburg klagten gegen Vita 34 – und gewannen, nun schon in zweiter und letzter Instanz.

Das Oberlandesgericht Dresden bewertet die zitierten Aussagen von Vita 34 als unlauter und irreführend. Das Unternehmen erwecke fälschlich der Eindruck, »Zubereitungen aus Nabelschnurblut würden sich mit hoher Gewissheit dazu eignen, Krankheiten zu heilen oder zu lindern«. Laut dem Gerichtsentscheid muss der Verbraucher annehmen, »praktisch jeder Mensch sei früher oder später auf solche Zubereitungen angewiesen und zudem seien bisherige Experimente und Therapien fast durchweg mit Zubereitungen aus Nabelschnurblut durchgeführt worden«. Da liege beim Leser der Schluss nahe, »dass nur ein Vorrat an eigenem Nabelschnurblut einen sicheren Zugang zu diesen Therapien eröffnen könne«.

Das Gericht beruft sich u.a. auf eine Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation.

Mit seinem Urteil vom 19. Juli 2011 (Az.: OLG 14 U 87/11) bestätigt das Gericht die Entscheidung der Vorinstanz. Es beruft sich unter anderem auf eine Stellungnahme der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation (DAG-KBT). Demnach ist zwar die Transplantation von fremden Nabelschnurblutstammzellen längst ein etabliertes Therapieverfahren bei Kindern mit Bluterkrankungen. Dagegen gebe es aber keine Daten für den Nutzen der Stammzellen beim eigenen Kind. Im Gegenteil: Als man bei Kindern mit Leukämie nachträglich Blutproben analysierte, die unmittelbar nach der Geburt entnommen wurden, waren darin bereits Leukämiespuren nachzuweisen. Solchen Kindern das eigene Nabelschnurblut zu transplantieren, könnte sogar schaden.

Vita 34 hat laut Gericht bisherige Experimente und Behandlungen mit Stammzellen in unlauterer Weise für seine Werbezwecke vereinnahmt: Die Firma stelle nicht klar, »dass zum weit überwiegenden Anteil fremde, nicht aus Nabelschnurblut gewonnene Stammzellen verwendet wurden, und erweckt so im Zusammenhang mit den übrigen Werbeaussagen den falschen Eindruck, der medizinische Einsatz von Stammzellen hänge ab von der Einlagerung von Nabelschnurblut«.

»Die Zusammenschau der Tatsachen spricht gegen eine Kryokonservierung von Nabelschnurblut für den Eigengebrauch.«

Auch auf dem Gebiet der Gewebereparatur, etwa bei Herz-, Leber- oder Hirnschädigungen, hat Vita 34 übertrieben. Die Firma, so das Gericht, erwecke beim Verbraucher den Eindruck, »dass sich der Nutzen derartiger Therapien in naher Zukunft drastisch erhöhen werde«. Tatsächlich gebe es aber viele Hinweise, »dass die spätere Nutzung eingelagerten Nabelschnurblutes sehr unwahrscheinlich ist«. Die DAG-KBT etwa verzeichnet zur Gewebereparatur bislang nur theoretische Daten und solche aus Tierexperimenten: »Die Zusammenschau der Tatsachen spricht gegen eine Kryokonservierung von Nabelschnurblut für den Eigengebrauch.«

Auch die von Vita 34 selbst veröffentlichten Zahlen sind deutlich. Von 82.000 gelagerten Nabelschnurblutproben wurden bislang nur 17 eingesetzt. Sechs der Proben wurden im Rahmen einer Studie angewandt. Es geht dabei um Diabetes Typ I bei Kindern. Nicht Heilung soll erreicht, sondern das Fortschreiten der Krankheit verlangsamt oder aufgehalten werden. Andere Nabelschnurblutproben kamen bei individuellen Heilversuchen zum Einsatz, etwa wenn Kinder schwere Hirnschäden erlitten hatten. Lediglich viermal wurden Kinder mit Bluterkrankungen therapiert. Fazit des Gerichts: »Es mag durchaus sein, dass bei der Behandlung mit Stammzellen aus Nabelschnurblut im einen oder anderen Fall therapeutische Erfolge erzielt wurden, keinesfalls aber lässt sich daraus auch nur ansatzweise fundiert auf einen gesicherten therapeutischen Nutzen schließen.«

Derzeit zahlen Eltern für das Einlagern zwischen 1.990 und 2.390 Euro, plus einer jährlichen Aufbewahrungsgebühr von 43,70 Euro.

Trotz bescheidener medizinischer Resultate agiert Vita 34 kommerziell sehr erfolgreich. Dazu trägt ein ausgefeiltes Marketing bei. Neben zwei Pressesprechern beschäftigt die Firma eine PR-Agentur in Düsseldorf und eine Kontaktfrau für die Finanz- und Wirtschaftspresse. Mit 95 Mitarbeitern ist das 1997 gegründete Unternehmen die mit Abstand größte private Nabelschnurbank in Deutschland. Tochterfirmen akquirieren Kunden in verschiedenen europäischen Ländern sowie den USA. In Deutschland, Österreich und der Schweiz kooperiert Vita 34 mit 850 Kliniken. Derzeit zahlen Eltern für das Einlagern zwischen 1.990 und 2.390 Euro, plus einer jährlichen Aufbewahrungsgebühr von 43,70 Euro. Das bescherte dem Unternehmen 2010 einen Umsatz von knapp 17 Millionen Euro. Seit 2007 werden Aktien von Vita 34 sogar an der Börse gehandelt.

Unternehmenssprecher Erich Kunert versichert, man nehme das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden »sehr ernst«. Die Kritik sei gerechtfertigt, so die späte Einsicht nach dem Urteil in zweiter Instanz. Die Marketingabteilung habe die Website bereits gemäß der vom Gericht vorgegebenen Linie bearbeitet.

Ob sich die Wettbewerbszentrale damit zufrieden gibt?

Sehr gründlich ist sie dabei allerdings nicht gewesen. Bei Redaktionsschluss dieser _BIOSKOP_-Ausgabe (Anfang September 2011) fand sich auf der Vita-34-Website noch immer eine Formulierung, die das Gericht am 19. Juli ausdrücklich beanstandet hatte: »Bei der Geburt haben Sie die Möglichkeit, Ihrem Kind eine einzigartige Gesundheitsvorsorge [Hervorhebung durch die Redaktion] zu schenken.« Kunert, am 30. August darauf angesprochen, redete sich raus: Die Einmaligkeit der Möglichkeit sei gemeint, und die sei objektiv, denn nur bei der Geburt könne man Nabelschnurblut gewinnen.

Ob sich die Wettbewerbszentrale damit zufrieden gibt?

© Martina Keller, 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Autorin