Emotional geprägt?
»Das Presseecho zur Organspende war im Jahr 2007 lauter und vielfältiger als je zuvor. Es gab viele positive Veröffentlichungen über steigende Spenderzahlen, Erfolge der Transplantationsmedizin und medienwirksame Bekenntnisse von Politikern und Prominenten. Auf der anderen Seite lösten Berichte über die holländische ‘Nieren-Show’, die Vorschläge zur Änderung des Transplantationsgesetzes oder die angeblich bevorzugte Transplantation von Privatpatienten sehr emotional geprägte Diskussionen aus. Dies zeigt uns, wie sensibel das Thema Organspende nach wie vor für die Menschen ist.«
gemeinsame Einschätzung von Prof. Günter Kirste, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und Dr. Thomas Beck, Kaufmännischer Vorstand der DSO, zitiert aus ihrem Vorwort zum DSO-Jahresbericht 2007
Merkwürdige Mängel
KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP
Merkwürdige Mängel
- Ergebnisse eines Gutachters, der herausfinden sollte, ob Transplanteure gezielt Privatpatienten bevorzugen
aus: BIOSKOP Nr. 42, Juni 2008, Seite 13
Ein Lübecker Sozialmediziner hat untersucht, ob Privatpatienten bei Organverpflanzungen überrepräsentiert sind. Dabei kamen merkwürdige Dokumentationsmängel heraus. Anfang Juli sollen die Gesundheitsminister beraten, wie Transplanteure und Organspendemanager ihre Arbeit transparenter machen können.
Bevorzugen Transplanteure privat versicherte Patienten? Diese Frage steht öffentlich im Raum, seitdem das Kölner Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie im Dezember 2007 festgestellt hatte, dass Privatpatienten knapp 15 Prozent jener menschlichen Organe erhielten, die in den Jahren 2004 und 2005 hierzulande verpflanzt worden waren _(Siehe BIOSKOP Nr. 40 + 41. Die Kölner Forscher hatten Berichte über die Tätigkeit aller 46 deutschen Zentren ausgewertet, die auf der Homepage der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zeitweilig veröffentlicht waren. Einen vergleichsweise hohen Anteil von Privatpatienten wiesen zum Beispiel die Transplantationskliniken in Berlin, Essen, Hannover und München aus. Auffällige Zahlen gab es auch aus Kiel, wo – laut DSO-Bericht – mehr als jeder vierte Empfänger einer fremden Niere privat versichert gewesen sei.
Anlass genug für Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Gitta Trauernicht (SPD), »dem Vorwurf einer Zweiklassenmedizin nachzugehen« und ein Gutachten beim Lübecker Professor Heiner Raspe in Auftrag zu geben. Der Sozialmediziner wertete Patientenakten und Datenbanken zu allen 446 Transplantationen von Nieren, Herzen und Lebern aus, die in den Jahren 2004 bis 2006 in Kiel und Lübeck stattgefunden hatten. Ende April präsentierte er das Kernergebnis: »Unsere Untersuchung«, so Raspe, »fand 11,6 % der Patienten privat versichert. Dies ist weniger, als es ihrem Anteil im Bundesgebiet (rund 12,1 %) entspricht.«
Dass die von ihm ermittelten Angaben völlig anders aussehen als die Zahlen, welche die DSO wohl aus Kiel bekommen und veröffentlicht hatte, erklärt Raspe unter anderem so: »Das Transplantationszentrum Kiel legte uns zusätzlich korrigierte Tabellen zum Versichertenstatus der Patienten für die Jahre 2005 und 2006 für alle transplantierten Organe vor.«
Raspes Gutachten liefert auch Indizien für Fehlleistungen anderer Institutionen, die am Organspende-Management beteiligt sind.
Diese Nachbesserung deutet auf frühere Fehler bei der Dokumentation im Klinikum hin, das ja – wie jedes deutsche Transplantationszentrum – vertraglich verpflichtet ist, jeweils zum 31. Januar eine korrekte Bilanz an die DSO weiterzuleiten. Doch Raspes Gutachten liefert auch Indizien für Fehlleistungen anderer Institutionen, die am Organspende-Management beteiligt sind. So habe die DSO es seit Jahren versäumt, einheitliche Vorgaben zum Erfassen des Versichertenstatus zu definieren, obwohl das Transplantationsgesetz (TPG) dies vorsieht.
Da die von der Koordinierungsstelle DSO publizierten Berichte »in sich nicht schlüssig sind, scheinen Plausibilitätsprüfungen seitens der DSO unterblieben zu sein«, benennt Trauernichts Ministerium einen weiteren Mangel. »Erschwerend« komme hinzu, dass die niederländische Stiftung Eurotransplant (ET), zuständig für die Vermittlung menschlicher Organe, »entgegen ihrer vertraglichen Verpflichtung der DSO keine Daten für die Tätigkeitsberichte zur Verfügung gestellt hat«. Allerdings lässt Raspes Gutachten den Schluss zu, »dass die DSO anscheinend diese Datenübermittlung wohl auch nicht angefordert hat«.
Gleich mit zu klären wäre, wer die eigentlich so selbstverständlichen Pflichten praktisch durchsetzen soll, kann und will.
Angesichts solcher Merkwürdigkeiten sieht Trauernicht »Handlungsbedarf«: DSO, ET und Transplantationszentren müssten zu »allen ihnen möglichen Datenprüfungen verpflichtet werden«. Diese Forderung solle auch bei der nächsten Gesundheitsministerkonferenz im Juli zur Sprache kommen.
Gleich mit zu klären wäre, wer die eigentlich so selbstverständlichen Pflichten praktisch durchsetzen soll, kann und will. Eine Schlüsselrolle kommt dabei den Vertragspartnern von DSO und ET zu, also den Spitzenverbänden der Krankenkassen, Bundesärztekammer und Deutscher Krankenhausgesellschaft. Bislang haben sie zu den offensichtlichen Fehlern und Transparenzdefiziten einfach geschwiegen. Laut TPG müssen sie aber gemeinsam die Einhaltung der Vertragsbestimmungen »überwachen«.
© Klaus-Peter Görlitzer, 2008
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