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»Offensive, aktive Markt-Orientierung«

Das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) beschäftigt rund 1.100 MitarbeiterInnen, Ärztlicher Direktor ist der Transplanteur Professor Roland Hetzer. Das »Leitbild« des Herzzentrums ist durchaus wirtschaftlich ausgerichtet – Auszüge (Stand: März 2011):

»Das DHZB ist weltweit führend in der Behandlung von Herzerkrankungen. Das DHZB setzt eigene Maßstäbe. Insbesondere die technologische und innovative Orientierung sowie die Anwendung der Forschung auf die Therapiekonzepte setzen Maßstäbe, an denen andere sich messen (‘Made by DHZB’).« […]

»Die konsequent unternehmerische Orientierung und die Qualität erzeugen die für das DHZB wichtige Unabhängigkeit, notwendige Entwicklungen im Sinne der übergeordneten Ziele vorantreiben zu können. In diesem Sinne ist wirtschaftlicher Erfolg die Voraussetzung für die Durchsetzung des qualitativen Anspruches. Die Stärke des DHZB besteht in der schnellen Reaktion auf Veränderungen und auf Marktgegebenheiten. Eine hohe Beweglichkeit, eine offensive, aktive, nationale und international ausgerichtete Marktorientierung, ist Voraussetzung für die weitere dynamische Entwicklung des DHZB



  • Transplantationsmedizin
  • Gerechtigkeit?
  • Schenkt Organspende »Leben«?
  • Nicht wirklich beruhigend
  • Weiter ohne wirksame Kontrolle
  • Verschwiegene Manipulationen
  • Notfall Organspende?
  • Ignorierte Tatsachen
  • Hirntodkriterium verfassungswidrig?
  • Sein wie Superman

  • Leben Hirntote noch?
  • »Organspende« nach Euthanasie
  • Transplantationsrecht: Kompliziert gesponnenes Netz
  • (K)ein Markt für Leichenteile
  • Ansprüche und Wirklichkeit
  • Offenbarungseid der Spendekommissionen
  • Sehr diskrete Selbstkontrolle
  • Merkwürdige Mängel
  • Denkwürdige Transplantationszahlen
  • Streit um »Hirntod«-Diagnostik
  • »Leben schenken«
  • Staatlich organisierter Organkauf
  • »Organspender bleiben hier final«
  • Transplantation und Gewissen
  • »Organspende«-Tests bei Lebenden?
  • Organentnahme ohne Einwilligung
  • »Ich schenke dir meine Niere« - BILD war dabei
  • »Cross-Over«-Transplantationen
  • Wachstumsorientierte Aufklärung
  • Schwerwiegende Komplikationen
  • Durchlässige Körper
  • Exklusive Mail von der DSO
  • Masterplan der DSO?
  • Organpolitik anders befragt - ein Tagungsbericht


  • MONA MOTAKEF, Sozialwissenschaftlerin im Arbeitsbereich für Soziale Ungleichheit und Geschlecht der Universität Duisburg-Essen

    Sein wie Superman

    • Organspende zwischen Biopolitik und Popkultur

    aus: BIOSKOP Nr. 53, März 2011, Seiten 12+13

    Das Deutsche Herzzentrum (DHZB) in Berlin ist, laut Selbstdarstellung, eine »Hochleistungsklinik«, spezialisiert auch auf Transplantationen. Diese sollen ausgeweitet werden, was jedoch nicht so recht zu gelingen scheint. Um Abhilfe zu schaffen, lanciert das Herzzentrum Werbekampagnen mit popkulturellen Referenzen, wie zum Beispiel die Comic-Plakataktion »Das kannst Du auch«.

    Die aktuelle Kampagne »Pro Organspende” des DHZB setzt vor allem auf bekannte Köpfe – abgebildet ist viel Prominenz, vom Fußballtrainer bis zum Bundesgesundheitsminister. Ein Foto zeigt den Schauspieler Til Schweiger. Der macht ein ziemlich entschlossenes Gesicht, dazu liest man: »Du bekommst alles von mir. Ich auch von Dir?« So kündigt Schweiger nicht etwa seine nächste Filmrolle an, vielmehr verspricht er uns seine Körperteile für den Fall, »dass nach meinem Tod eine Organspende möglich ist«.

    Leute wie Schweiger gelten im Jargon der Werbebranche als begehrte »Testimonials« (Zeugen). Dass das DHZB auch Comic-Figuren für geeignete Sympathieträger hält, zeigt seine Vorgänger-Kampagne, die ich mir genauer angeschaut habe. Fünf Comic-Motive wurden seit Oktober 2009 überall in Berlin verbreitet, als bunter Blickfang auf Bussen und großen Werbetafeln. Mit ihren Körpern, Kleidern und Masken sahen sie aus wie Superman und Batman und Wonder Woman und Supergirl, allesamt bekannt aus den Bildergeschichten des US-amerikanischen Verlags DC Comics.

    Retten von Menschenleben ist ihre Hauptbeschäftigung. Ansonsten sind sie »normal« – weiß und heterosexuell.

    Einer der plakatierten Superhelden fliegt über die Dächer des nächtlichen Berlins und rettet eine Frau aus meterhohen Flammen. Eine Superheldin hilft einem Jungen aus einem Wasserstrudel. »Das kannst Du auch«, verheißt die bebilderte Botschaft, denn: »Organspende heißt Leben retten«. Jede/r kann sein wie Batman, der im US-Comic ja eigentlich ein ‚durchschnittlicher’ Mensch ist und nur dann zum Superhelden wird, wenn er sich die Maske überzieht. Dem Herzzentrum geht es allerdings nicht um Maskerade, sondern um das Ausfüllen eines Organspendeausweises.

    Seit Erscheinen der ersten Comics vor mehr als siebzig Jahren, gelten solche Bildergeschichten vor allem als Projektionsfläche für die Sehnsüchte und Phantasien ihrer meist jungen und meist männlichen Leser. Superman, Batman oder Wonder Woman weisen keine markanten Charakterzüge auf, sie verfügen aber über drei Talente: Erstens haben sie übermenschliche Kräfte, zweitens sind sie überaus schlau, und drittens treten sie regelmäßig als Verteidiger und Fürsprecher der Unterdrückten auf. Retten von Menschenleben ist ihre Hauptbeschäftigung. Ansonsten sind sie »normal« – weiß und heterosexuell.

    Besonders in der Realität der Lebendspende von Nieren spielt das Geschlecht eine Rolle.

    So auch in der Adaption des Berliner Herzzentrums: In einem Bild trägt der Superheld eine junge Frau auf seinen starken Armen aus den Flammen, deren knappes Kleid verrutscht und deren Oberkörper halb entblößt ist. In einem anderen Bild erscheint die Superheldin mit großen Brüsten sehr weiblich und rettet einen Jungen, der ihr Sohn sein könnte. Die Figuren sind Prototypen idealisierter Männlichkeit und Weiblichkeit. Gleichzeitig überbieten sie mit ihrer Kraft, ihrer Intelligenz, ihrem Engagement die gängige Norm.

    Besonders in der Realität der Lebendspende von Nieren spielt das Geschlecht eine Rolle. Weltweit überwiegen – mit Ausnahme des Irans – Frauen als Spenderinnen und Männer als Empfänger von Organen. Wenn Frauen Teile ihrer Körper zur Verfügung stellen, spenden vor allem Mütter an ihre Kinder oder Ehefrauen an ihre Männer.

    Die US-amerikanische Sozialwissenschaftlerin Susan Klein Marine und ihr Team vermuten, dass Organspenden von Frauen als Ausweitung ihrer familiären Pflichten gelesen werden können. Aus ihren Interviews mit OrgangeberInnen in den USA geht hervor, dass Frauen eher altruistische Motive für ihre Organspende aufführen, während Männer diese als einen heroischen Akt beschreiben. Mit Susan Klein Marine lässt sich argumentieren, dass die Werbekampagne eine männliche Lesart in Szene setzt: Organspenden als heroische Akte.

    Die Werbekampagne setzt eine männliche Lesart in Szene: Organspenden als heroische Akte.

    Allerdings wird die Organspende mit ihrem popkulturellen Bezug nicht vordergründig moralisch heroisiert, was etwa geschieht, wenn die christlichen Kirchen von Akten der Nächstenliebe sprechen und zu einem Mehr an Nächstenliebe aufrufen. Das Herzzentrum agiert subtiler, anstatt eines erhobenen Zeigefingers tritt es selbst als Geber des Identitätsangebotes auf, Superheldin oder Superheld zu werden. Wer sich zur Organspende bekennt, gilt nicht als unweiblich oder unmännlich, schwach, doof und überflüssig. Vielmehr gewinnt er oder sie an sozialem Prestige, so jedenfalls das Versprechen der Kampagne.

    Die Heroisierung ist unredlich. Denn erstens wird suggeriert, dass es über Organspende nichts mehr zu verhandeln gibt. Organspende tritt dadurch als Thema aus der Sphäre des Politischen heraus. Zweitens wird verschleiert, dass Transplantationen nicht nur segensreich sein, sondern auch als sehr problematisch erlebt werden können. Mit dem Imperativ des Ursprung-Comics »Böses zu verhindern« und der Übersetzung des Berliner Herzzentrums »Tod zu verhindern«, wird Transplantieren ausschließlich mit Retten gleichgesetzt.

    Anstatt Organspende zu heroisieren und nur noch zu fragen, wie Entnahme und Verteilung von Organen optimiert werden kann, plädiere ich dafür, Organspende zu politisieren.

    Die Kampagne ist einseitig. Ausgeblendet werden zum Beispiel die Gefahr der Organabstoßung, die verschobenen Innen- und Außengrenzen des Körpers oder die Zweifel am Hirntod. Problematisch ist auch, dass so der Entscheidung gegen Organspende – ob von PatientInnen, Angehörigen oder potentiellen SpenderInnen getroffen – die Legitimation entzogen wird. Eingebettet in die Moralität der Gabe, erscheint nur eine Handlung als die gebotene: das Bekenntnis zur Organspende. Zwar wird niemand bestraft, wenn sie oder er nicht spenden möchte. Indem aber Organspende als eine heroische, Menschenleben rettende Tat inszeniert wird, die jeder und jede schaffen kann, wird das mögliche Entscheidungsfeld vorstrukturiert.

    Die Debatte um Organspende berührt grundlegende Fragen des körperlich-leiblichen Daseins, und der Art und Weise, wie über Körper verfügt wird. Anstatt Organspende zu heroisieren und nur noch zu fragen, wie Entnahme und Verteilung von Organen optimiert werden kann, plädiere ich dafür, Organspende zu politisieren.

    © Mona Motakef, 2011
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