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»Nicht unsere Aufgabe«

»Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Leben zu erhalten, daß kein menschliches mehr ist, sondern nur ein vegetatives. Soll man die sterblichen, aber nicht toten Überreste dieser Leute einfach nur zu ihrem Andenken erhalten?«

Hans-Ludwig Schreiber, Professor für Strafrecht und Mitautor der Grundsätze zur
Sterbebegleitung der Bundesärztekammer, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin
Der Spiegel zur Frage, welches ethische Argument Sterbehilfe bei Wachkoma-PatientInnen rechtfertige. Das Interview wurde am 27. Juli 1998 im Spiegel veröffentlicht.



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Akzeptieren Ärzte und Politiker die neuen Sterbehilfe-Grundsätze?

  • Widerstand gegen Bundesärztekammer-Beschluss möglich

aus: BIOSKOP Nr. 4, Dezember 1998, Seite 11

Trotz öffentlicher Proteste hat der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) am 11. September seine neuen »Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung« beschlossen.

Die neuen BÄK-Grundsätze sind eine Kampfansage an gesellschaftliche wie christliche Grundwerte. Denn das Sterbebegleitungspapier erlaubt auch, was kein deutsches Gesetz erlaubt: dass Ärztlnnen Patientlnnen ums Leben bringen dürfen sollen, die überhaupt nicht im Sterben liegen. Zur fremdbestimmten Disposition gestellt werden Menschen, die im Koma oder mit fortgeschrittener Demenz leben sowie Neugeborene mit bestimmten Behinderungen.

Dem Töten reden die Ärztevertreter in ihrer Richtlinie zwar nicht ausdrücklich das Wort, wohl aber der »Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen«. Gerechtfertigt wird so zum Beispiel das Verhungernlassen von Patientlnnen per Abbruch der künstlichen Ernährung mittels Magensonde oder Infusion, das Einstellen der Beatmung oder der Abbruch der Dialyse. Ziel und Folge solcher Unterlassungen ist der Tod des Kranken – im Ergebnis unterscheidet sich dies nicht von der tödlich wirkenden Giftspritze, die der BÄK-Vorstand nach wie vor strikt ablehnt.

  • Todbringende Unterlassungen

Zwingende Voraussetzung für das Ja zu todbringenden Unterlassungen ist nach den Grundsätzen der BÄK eine gesetzlich nicht vorgesehene Fremdbestimmung: Stellvertretend für den Betroffenen, der sich wegen seiner Krankheit selbst nicht äußern kann, sollen Bevollmächtigte oder Betreuer den tödlichen Behandlungsabbruch beantragen dürfen, für behinderte Neugeborene sollen Ärztlnnen im Einvernehmen mit den Eltern entscheiden.

Den Willen des Betreuers oder Bevollmächtigten soll der Arzt ausführen müssen, vorausgesetzt, ein Vormundschaftsgericht hat den Sterbehilfe-Antrag genehmigt. Richter werden so zu Richtern über Leben und Tod. Gibt es keine Stellvertreter-Erklärungen, so soll der »mutmaßliche Wille des Patienten in der konkreten Situation« dafür maßgeblich sein, ob der Betroffene weiterbehandelt wird oder nicht. Doch der »mutmaßliche Wille« ist nur eine Projektion – der Begriff steht für Vermutungen von Ärztlnnen, Angehörigen und Juristlnnen darüber, ob und wie der nichtäußerungsfähige Patient wohl behandelt werden wolle oder nicht.

  • »Eine besondere Bedeutung«

Zur seriösen Ermittlung des wirklichen Willens taugen auch sogenannte »Patientenverfügungen« nicht, denen der BÄK-Vorstand nun »eine besondere Bedeutung« zumisst. Solche Voraberklärungen pro Behandlungsverzicht werden meist in gesunden Tagen zu Papier gebracht, in jedem Fall aber fernab der konkreten Situation des Komas oder der Demenz.

Formalrechtlich gilt die Sterbebegleitungsrichtlinie als Empfehlung für die rund 350.000 Ärztlnnen in Deutschland. Unmittelbar verbindlich für den einzelnen Mediziner wird die Direktive, sobald ihr Inhalt in die Berufsordnungen der Landesärztekammern (LÄK) übernommen wird. Das ist zu erwarten, denn der BÄK-Vorstand besteht aus den Vorsitzenden der LÄK, und die werden in ihrem Einflußbereich für ihr Sterbehilfe-Konzept werben.

  • Rechtspolitische Wirkung

Ob sie dabei auf Widerstand innerhalb der Ärztlnnenschaft stoßen werden, ist ungewiß aber nicht ausgeschlossen: So hat etwa die Kammerversammlung der Hamburger Ärztekammer am 9. Februar 1998 einstimmig per Resolution gefordert, daß die BÄK-Richtlinie für schwerstbehinderte Neugeborene, Wachkomapatientlnnen und andere Nichtsterbende nicht gelten solle.

Weit über das Berufsrecht hinaus geht die rechtspolitische Wirkung von BÄK-Richtlinien. Richterlnnen, die mit der Position der BÄK einverstanden sind, werden die Grundsätze zur Sterbebegleitung zwecks Absicherung ihrer Entscheidungen heranziehen und auf sie verweisen. Gleiches gilt für Politikerlnnen. Der FDP-Abgeordnete Hildebrecht Braun hat bereits im Juli angekündigt, er wolle nach der Wahl »eine Gesetzesinitiative zur Sterbehilfe« im Bundestag starten.

© Klaus-Peter Görlitzer, 1998
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