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JEROEN BREEKVELDT, BioSkopler, Mitarbeiter des NoGen-Archivs in Wageningen (Niederlande) und in der AG Linke Analyse Biopolitik

Gegenläufige Meldungen aus den Niederlanden

  • Das Euthanasiegesetz gilt seit April 2002

aus: BIOSKOP Nr. 17, März 2002, Seite 7

Am 1. April ist in den Niederlanden das Euthanasiegesetz in Kraft getreten. Es legalisiert, was dort längst geduldet und fast dreißig Jahre debattiert wurde: das Töten von PatientInnen auf Verlangen.

Voraussetzung für die Straffreiheit von Tötungsakten ist, dass der ausführende Arzt einen Katalog gesetzlich festgeschriebener »Sorgfaltskriterien« einhält. Unter anderem müssen die PatientInnen ihre Tötung freiwillig nachgefragt haben, unerträglich leiden, als unheilbar krank eingeschätzt werden; bestätigen müssen dies zwei MedizinerInnen. _(Siehe “ BIOSKOP Nr. 12

  • Debatte um Todespille

Dass die neue Regelung nicht das letzte Wort sein dürfte, deutete sich bereits an, als während der Gesetzesberatungen ein Gerichtsurteil zur Tötung des Senators Edward Brongersma bekannt wurde. Der 86-Jährige hatte sich gewünscht, umgebracht zu werden – wobei dem Arzt die Erfüllung der »Sorgfaltskriterien« aber eindeutig unmöglich war. Denn der Senator litt weder »unerträglich« noch war er unheilbar krank. Er war einfach lebensmüde.

Im Dezember 2001 beurteilte das höchste niederländische Gericht Brongersmas Tötung zwar als rechtswidrig, bestrafte seinen Euthanasie-Arzt aber trotzdem nicht. Der Niederländische Verein für Freiwillige Euthanasie (NVVE), die Stiftung Freiwilliges Leben und die linksliberale Gesundheitsministerin Els Borst plädieren nun dafür, dass ÄrztInnen auch in solchen Fällen legal töten dürfen. Wieder aufgelebt ist zudem die alte Debatte um die Abgabe einer tödlich wirkenden Pille auf Wunsch für jede/n ab dem 70. Lebensjahr. Die NVVE plant sogar ein entsprechendes »Experiment«. Die meisten Parteien und Borst lehnen das zwar ab, aber sie wollen »in kurzer Zeit eine Grundsatz-Debatte über alle Aspekte der Pille führen«.

  • Zweifel an der Tötungspraxis

Auch Gegenläufiges gibt es in den Niederlanden. In der liberalen Tageszeitung NRC Handelsblad meldeten sich ÄrztInnen zu Wort, die im so genannten SCEN-Projekt bislang widerspruchslos Euthanasie-Beratung anboten. Nun kommen in dieser Gruppe Zweifel an der Tötungspraxis auf. Das Gesetz, vor allem zu ihrer juristischen Absicherung gedacht, erzeugt Ansprüche. »Die Patienten bitten nicht mehr, sie fordern«, sagte die Ärztin Bernadina Wanrooij. Sie und viele ihrer KollegInnen wollen nun mehr Gewicht auf die Palliativmedizin legen, denn oft werde wohl schlicht aus Unkenntnis medizinischer Möglichkeiten getötet.

Platz für kritische Stimmen zur Euthanasiepraxis boten auch die große Tageszeitung Volkskrant und das politische Fernsehprogramm Buitenhof. Dennoch: Das Begehren, Lebenslänge und Sterbeumstände ganz autonom zu bestimmen, wird nicht einfach aus der Welt zu schaffen sein. Und trotz des Rufes nach mehr Palliativmedizin dürften die künftigen Debatten durch organisierte Forderungen nach Tötungspille und noch liberaleren Regeln geprägt werden.

© Jeroen Breekveldt, 2002
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