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Helfen am Ende des Lebens. Hospizarbeit und Palliative Care in Europa

heißt der Titel des Buches, das Ergebnisse einer europäischen Vergleichsstudie auf 340 Seiten zusammenfasst. AutorInnen sind Reimer Gronemeyer, Michaela Fink, Marcel Globisch und Felix Schumann. Herausgeberin ist die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz. Bestellen kann man das Buch (Preis: 23.50 Euro) beim Hospiz-Verlag, Telefon: (0202) 4468470.



INGE KUNZ, Sozialpädagogin, Vorsitzende der Hospizvereinigung OMEGA – Mit dem Sterben leben

Viele offene Fragen

  • Gießener ForscherInnen haben die Versorgung sterbenskranker Menschen in Europa untersucht

aus: BIOSKOP Nr. 29, März 2005, Seiten 10+11

In der Schriftenreihe der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz ist eine neue Studie erschienen. Sie vergleicht, wie sterbenskranke Menschen in Europa versorgt werden. Stationäre wie ambulante Hospizdienste und palliativmedizinische Angebote sind zwar enorm gewachsen. Dennoch ist eine Zukunft im Zeichen humaner Bedingungen für Sterbende keineswegs sicher.

Alternde Gesellschaften, zerfallende Familien und als »Krise« bezeichnete Umverteilungen in den Gesundheits- und Sozialsystemen – alles Phänomene, mit denen die meisten europäischen Gesellschaften konfrontiert sind. Anlass für die AutorInnen der Studie um den Gießener Soziologieprofessor Reimer Gronemeyer, die Versorgung Todkranker in 16 europäischen Staaten zu untersuchen und grundlegende Fragen aufzuwerfen: Wird – in Gestalt wachsender Euthanasie-Tendenzen – eine Mentalität und Politik der »Entsorgung« sterbenskranker Menschen um sich greifen? Oder werden sich humanere Alternativen wie Hospize und palliative Versorgung durchsetzen?

Auch die Alternativen sind durchaus zwiespältig. Palliativmedizin setzt auf Symptomkontrolle, z.B. Schmerzbekämpfung und betrifft PatientInnen, deren Krankheit als nicht mehr therapierbar gilt. Könnte diese Behandlungsvariante nicht aus rein ökonomischen Motiven gefördert werden, da sie billiger ist als zum Beispiel Intensivmedizin, fragen die Gießener AutorInnen kritisch.

  • »Palliative Care«

Ambulante und stationäre Palliativ- und Hospizdienste bezeichnen sie als »Palliative Care«. Der neue Begriff soll die verschiedenen Angebote unter einem Dach benennen. Dabei verschwimmen zuweilen die Unterschiede zwischen ambulanten Hausbetreuungsdiensten, stationären Hospizen, Palliativstationen und -pflegediensten, und die ganze Bandbreite der Begleitungspraxis fällt dem Begriff zum Opfer. Die Angebote werden fast überall in Europa geregelt finanziert, schreiben die ForscherInnen: »Mehr und mehr tritt Palliative Care damit aus dem Bereich der Initiative, des persönlichen Engagements und der Spenden heraus und wird zu einer staatlichen Angelegenheit.«

  • Kostspieliges Sterben outgesourct?

Gesundheitsdienstleistungen sind »Waren«, die in Geldwert gemessen werden, und Versuche, Kosten zu begrenzen, gibt es in nahezu allen Staaten. Kehrseite der öffentlichen Finanzierung, die mit Professionalisierung und Qualitätsstandards verknüpft ist, könnte das »organisierte, qualitätskontrollierte Sterben« werden. Die AutorInnen fragen: »Gibt es über kurz oder lang ein Palliativ-Dumping? Ist es denkbar, dass kostspieliges Sterben outgesourct wird? Steht die Wahl zwischen dem Luxus-Hospiz für die Besserverdienenden und das Schlichthospiz für Sozialhilfeempfänger auf dem Programm?«

Die Studie basiert auf reichlich Daten und 150 qualitativen Interviews, welche die Gießener ForscherInnen mit HospizmitarbeiterInnen, MedizinerInnen, PatientInnen und WissenschaftlerInnen in 16 untersuchten Staaten geführt haben. Dabei heraus gekommen sind eine interessante Bestandsaufnahme und viele Fragen. Zur Zukunft der Sterbebegleitung gibt es jedoch kaum Antworten. Denn die konkreten Folgen dessen, was PolitikerInnen hierzulande »Gesundheitsreform« nennen, werden sich erst in einigen Jahren zeigen.

  • Finanzielle Probleme

Die Hospizbewegung hatte in ihren Anfängen noch mit dem Unwillen der Kostenträger der hiesigen, etablierten Einrichtungen der Kranken- und Altenhilfe zu kämpfen. Das ist immer noch so, vor allem, wenn die Kostenträger das Altenheim als billigere Alternative zum stationären Hospiz ansehen. Probleme gibt es auch, wenn Schwerstkranke im Hospiz nicht in einer vorgeschriebenen Zeit versterben, da die Krankenkassen dann die Zuständigkeit beziehungsweise Notwendigkeit der Hospizbegleitung anzweifeln. Kassen wollen auch nicht zahlen, wenn PatientInnen künstlich beatmet werden, weil das als lebensverlängernde Maßnahme aufgefasst wird und die Betroffenen nicht als Hospiz-PatientInnen gelten. Für Schwerstkranke, die sich noch selbst versorgen können, finanzieren weder Kranken- noch Pflegekassen den Aufenthalt in Tageshospizen. In den ambulanten Hausbetreuungsdiensten werden lediglich die Personalkosten für KoordinatorInnen und Referenten-Honorare für die Vorbereitung und Begleitung der Ehrenamtlichen erstattet. Entstehende Sachkosten wie Telefongebühren und Fahrtkosten, die für eine Begleitung notwendig sind, werden nicht übernommen.

  • Neue Abrechnungsmodelle

Und in Zukunft könnte die Versorgung Sterbenskranker für Kliniken noch schwieriger werden. Sollte das Fallpauschalen-System ab 2007 auch in diesem Bereich greifen, könnte ein schnelles Sterben ökonomisch attraktiv werden. Die Pauschale könnte aber auch wie ein Stimulus wirken, um Sterbebegleitung ganz aus den Kliniken herauszuhalten – einfach, weil sie zu teuer ist. Palliativstationen werden mit den neuen Abrechnungsmodellen ebenfalls kämpfen müssen, denn die Verweildauer in den Krankenhäusern soll auf durchschnittlich drei bis fünf Tage reduziert werden. Die AutorInnen der Studie kalkulieren aber, dass Fachleute für die Einstellung der Symptomkontrolle, Schmerztherapie inbegriffen, zehn bis vierzehn Tage brauchen. Ohnehin lässt sich der Pflegebedarf von Palliativ-PatientInnen nicht an einer allgemeinen Norm kalkulieren – zu unterschiedlich sind die Krankheitsverläufe.

  • Erhebliche Differenzen

Auch international, darauf weist die Länderstudie hin, gibt es erhebliche Differenzen. In osteuropäischen Staaten dominiert das Schlichthospiz. Als vorbildlich gelten dagegen die Niederlande und Großbritannien. Die Zusammenarbeit von palliativen Zentren, Pflegeheimen, HausärztInnen und Pflegediensten ermöglicht, dass Menschen in häuslicher Umgebung sterben oder eine palliative und hospizliche Begleitung im Heim erhalten können. Angehörige, die Todkranke versorgen, haben Anspruch auf Sonderurlaub und staatliche Ersatzzahlungen für den Verdienstausfall.

In den Niederlanden gilt Tötung auf Verlangen schwer kranker Menschen als gesellschaftlich akzeptiert. Aber in Hospizen und Palliativstationen ist Euthanasie offenbar nicht üblich. Jedenfalls berichten die Gießener ForscherInnen, dass im Amsterdamer Hospiz Kura in den vergangenen zehn Jahren nur drei von 700 PatientInnen um Euthanasie gebeten hätten.

  • Reflexion und Einmischung

Allerdings scheint die klare Unterscheidung zwischen Sterbebegleitung und so genannter Sterbehilfe zu verschwimmen. Wie diffus die Konturen aktiver Lebensbeendigung geworden sind, zeigen hierzulande die Vorschläge des Bundesjustizministeriums. Das gilt auch für die Praxis der »terminalen Sedierung« mit überdosierten Schmerzmitteln, die in den Niederlanden zunehmend AnhängerInnen beim medizinischen Personal findet. Doch auch in Deutschland werben viele Hospizvereinigungen für Patientenverfügungen, die tödlich wirkende Behandlungsabbrüche für den Fall schwerer Erkrankung einfordern.

Ein Zurück in familiäre oder rein ehrenamtliche Versorgungsmodelle, so viel ist sicher, wird es nicht geben. Es bedarf aber ständiger Reflexion und Einmischung, um eine Hospiz- und Palliativversorgung jenseits der ökonomischen Fallstricke des Gesundheitswesens zu ermöglichen.

© Inge Kunz, 2005
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