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  • Hintergrund – Appell an den Deutschen Bundestag

Das gesellschaftliche Tötungsverbot darf nicht angetastet werden!

Die öffentliche Debatte um »Sterbehilfe« übermittelt vor allem eine Botschaft: Aktive Euthanasie wie in den Niederlanden oder Belgien soll es in Deutschland nicht geben.

Aber auch hierzulande wollen PolitikerInnen, Gerichte und ärztliche StandesvertreterInnen derzeit »Sterbehilfe« rechtlich legitimieren. Bei nicht-einwilligungsfähigen Kranken, aber keineswegs Sterbenden, soll nach ihren Plänen der tödliche Abbruch von Behandlung und Versorgung rechtens werden. »Patientenverfügungen« der Betroffenen, die zu einem früheren Zeitpunkt unterschrieben wurden, werden als aktueller Sterbewunsch interpretiert. Liegt eine solche Verzichtserklärung nicht vor, sollen Bevollmächtigte, BetreuerInnen oder Angehörige mutmaßen und entscheiden dürfen, dass ÄrztInnen Therapien und Ernährung unterlassen. Wenn der Gesetzgeber Patientenverfügungen tatsächlich als rechtsverbindlich anerkennt und damit ÄrztInnen wie Pflegekräfte künftig gehalten sind, schwer kranke, verwirrte oder bewusstlose Menschen zielstrebig nicht mehr zu behandeln und zu ernähren, heißt das praktisch: Die Tötung auf – vermutetes – Verlangen wird in Deutschland als nachfragbare ärztliche Handlung anerkannt. Unter Kostendruck und Pflegenotstand kann dies schnell zum Regelfall werden.

  • Die Rhetorik vom würdigen Sterben

BefürworterInnen von Patientenverfügungen klagen über technisierte Medizinapparate, ärztliche Handlungshoheit und ökonomische Kalküle in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Dagegen soll sich der Einzelne per Voraberklärung seines »Willens« wehren können, um sich »würdiges Sterben« zu sichern und »unnötige« Leidenszeit zu ersparen.

Mit dieser Rhetorik wird attraktiv gemacht, was in den Niederlanden und Belgien bereits gesellschaftliche Realität ist: Tötung auf Verlangen. Hierzulande geht es zunächst nicht um entscheidungsfähige PatientInnen, die ihre Tötung in einer konkreten Krankheitssituation nachfragen, sondern um diejenigen, die komatös, demenzkrank und sprachlos sind. Sondenernährung, Flüssigkeitszufuhr, das Behandeln von Begleiterkrankungen sollen nicht mehr selbstverständlich sein bei Kranken, die als unheilbar gelten – aber eben nicht im Sterben liegen. Auch eine »intensive Schmerztherapie« mit einkalkulierter Todesfolge soll zum Repertoire einer Medizin gehören, die den Tod herstellen darf.

  • Der Druck, »Sterbehilfe« bei Nichtsterbenden zu legitimieren, wächst

Übergeordnete Gerichte wie der Bundesgerichtshof (BGH) haben dazu wesentlich beigetragen. Mit Einzelfall-Entscheidungen (1994 und 2003) haben die RichterInnen ein juristisches und auch argumentatives Gebiet abgesteckt, in dem sich darüber reden lässt, dass und wie nicht-entscheidungsfähige Menschen zu Tode gebracht werden können. Bei der Diagnose »irreversibles Koma« wird die Ernährung per Magensonde in eine “das Sterben lediglich verlängernde Behandlung« umgedeutet. Früher geäußerte Wünsche und “allgemeine Wertvorstellungen innerhalb der Gesellschaft« sollten laut BGH dabei berücksichtigt werden. Die Grundsätze der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung (1998 und 2004) legitimieren diese Praxis ebenfalls. Vom Töten ist zwar nicht die Rede. Aber ÄrztInnen sollen “das Behandlungsziel ändern« können bei Menschen mit »infauster Prognose«. Sondenernährung und Flüssigkeitszufuhr gehören dann nicht mehr zur garantierten »Basisversorgung«. Patientenverfügungen, ob schriftlich oder mündlich, werden als »verbindlich« bezeichnet.

  • Der tödliche Behandlungsabbruch ist eine Form der Tötung auf Verlangen

Noch sind Patientenverfügungen in ihrer rechtlichen Wirkung umstritten, aber politische Initiativen zwecks Legalisierung werden immer intensiver. Der Politiker und langjährige Vorsitzende der Sterbehilfeorganisation »Humanistischer Verband«, Rolf Stöckel, kündigte im April 2004 an, einen Antrag zur »Autonomie am Lebensende« in den Bundestag einzubringen: Demnach soll der per Patientenverfügung verlangte tödliche Behandlungs- und Versorgungsabbruch straffrei werden – via Ergänzung des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen). Für das selbe Ziel plädiert eine vom Bundesjustizministerium einberufene Kommission, die im Juni 2004 ein Gutachten zu Patientenverfügungen vorgelegt hat. Was über Jahre durch eine Politik der Begriffe unkenntlich gemacht wurde, ist nun erkennbar: Schwerkranke Menschen nicht zu behandeln und zu ernähren, das ist eine Variante des Tötens auf Verlangen. Selbst eine nur minimale Außenkontrolle durch Gerichte soll es nicht geben.

  • Versorgung und Betreuung von PatientInnen werden immer schlechter

Wäre tatsächlich die Sorge um das Wohlergehen pflegebedürftiger Menschen handlungsleitend, dann müsste die gesellschaftliche Antwort auf Befürchtungen und Ängste vieler Kranker und vieler, die es zu werden fürchten, anders ausfallen. Das würde sicher nicht alle Todeswünsche aus der Welt schaffen, aber die heute vorherrschende Alternativlosigkeit im Umgang mit schlechten Prognosen und der begrenzten eigenen Existenz lebbarer machen. Das ist die Aufgabe der Gesundheitsversorgung und nicht eine Dienstleistung, die attraktiv macht, dass man sich die Zeit des Sterbens sparen kann.

Eine gute Palliativmedizin mit Schmerzbehandlung verlängert das Leben. Doch viele Schwerstkranke haben keine Chance zu dieser professionellen Begleitung. Pro Jahr sind mehrere tausend Menschen – und ihre Angehörigen – mit der extremen Lebenssituation des Komas konfrontiert. Nur jede/r Vierte kann in eine qualifizierte, stationäre Pflegeeinrichtung (der Phase F) aufgenommen werden. Ambulante Hilfen sind kaum entwickelt. Ob stationär oder ambulant, die Pflege im Minutentakt ist es, die Leiden erzeugt: Wundliegen, Verkrampfungen, Infektionen u.a.m. KomapatientInnen sind auf künstliche Ernährung über die Magensonde angewiesen. Viele demenzkranke HeimbewohnerInnen und ambulant Versorgte werden aber so ernährt, weil keine Zeit mehr bleibt für ein Essen, das mehr ist als die Zufuhr an Kalorien. Konflikte mit ÄrztInnen und Kostenträgern überschatten die Pflege. Selbst die Frage, ob die Kosten der Sondenernährung weiterhin übernommen werden sollen, steht regelmäßig auf der gesundheitspolitischen Agenda. Eine europaweite Befragung von Angehörigen, die Schwerstpflegebedürftige in ambulanter oder stationärer Pflege versorgen, bestätigt, was zu vermuten ist: Innerhalb weniger Jahre stehen 90 Prozent der Befragten vor dem finanziellen Ruin, sind sozial isoliert und ausgebrannt.
All das wird begleitet von einer dröhnenden Rede über eine alternde Gesellschaft, unbezahlbare Kosten im Gesundheitswesen und von selbstverständlichen Kalkulationen um das »Humankapital Mensch«, dessen »Eigenverantwortung« als »Kunde« in einem durchrationalisierten Gesundheitsmarkt immer dann mobilisiert wird, wenn öffentliche Angebote eingeschränkt werden sollen.

  • Würde ist kein Zustand, sondern eine soziale Beziehung

»Würde« ist der meist zitierte Begriff der aktuellen Sterbehilfe-Debatte. Dazu schrieb der Autor David Le Breton treffend: »Würde ist kein Zustand, sondern eine soziale Beziehung, die nicht das leiseste Schwanken im Gleichgewicht zwischen Selbstachtung und der durch die anderen erfahrenen Bestätigung zulässt.« Wenn Patientenverfügungen rechtsverbindlich werden, der schnelle Tod für pflegebedürftige und unheilbar Kranke zum gesellschaftlichen Normalfall wird, ist das soziale Band gerissen.

Das gesellschaftliche Tötungsverbot darf nicht angetastet werden!

Weitere Informationen

+ Appell an den Bundestag “Das gesellschaftliche Tötungsverbot darf nicht angetastet werden!”
++ BioSkop-Broschüre Patientenverfügungen in Frage gestellt
+++ Dokumentation der Tagung Planungssicherheit am Lebensende? Patientenverfügungen im Widerstreit
++++ Hintergrundberichte zu Patientenverfügungen und Euthanasie