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UTE BERTRAND, Journalistin und BioSkoplerin


Forschungsmaterial Blut

  • Über die gezielte Ausforschung anonymisierter Körpersubstanzen und die sozialpolitischen Folgen

aus: BIOSKOP Nr. 9, März 2000, Seiten 11+12

Für viele wissenschaftliche Studien brauchen MedizinerInnen Körpersubstanzen als Untersuchungsmaterial. Wer sich Blut oder Gewebe zwecks Diagnostik entnehmen lässt, muss daher damit rechnen, dass auch ForscherInnen sich ungeniert bedienen – ohne die Betroffenen darüber zu informieren. Dies kann unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein, widerspricht aber dem allseits propagierten Leitbild von Menschenwürde und Selbstbestimmung.

Zwei Möglichkeiten der Beschaffung von Körpersubstanzen bieten sich an: Die eine Variante setzt auf Information und Überzeugung der VersuchsteilnehmerInnen, die andere, häufiger praktizierte, auf Selbstbedienung und Fremdbestimmung.

Wer dem ersten Ansatz folgt, bemüht sich, Überzeugungsarbeit zu leisten. Damit eine gewünschte Studienteilnehmerin verstehen kann, auf was sie sich einlässt, wird sie umfassend, verständlich, mündlich und schriftlich über Projekt, Ziele, potenziellen Nutzen und Risiken informiert. Dazu gehört auch der Hinweis, dass man jederzeit wieder aus einem Forschungsprojekt aussteigen kann. Nach reichlicher Bedenkzeit willigt die Probandin schließlich ein und überlässt Blut oder Gewebe – oder sie sagt »nein« und lässt es einfach sein.

Im Alltag ist diese idealtypische Variante allerdings selten anzutreffen; Zeitdruck, die Verunsicherung von Menschen in so ungewohnter Umgebung wie einem Krankenhaus, das Machtgefälle zwischen Arzt und Patient und mitunter auch die Androhung von Pressionen erschweren eine Entscheidung aus freien Stücken.

  • Zu aufwändig oder zu faul?

Trotz ihrer strukturellen Überlegenheit scheuen viele MedizinerInnen den Aufwand, Versuchspersonen von Angesicht zu Angesicht aufzuklären und die Anforderungen des Datenschutzes zu erfüllen. Die Aussicht, dass eine Studie nicht zustande kommt oder später abgebrochen werden müsste, weil die gewünschten TeilnehmerInnen womöglich »nein« sagen, ist wenig attraktiv.

Eine gern praktizierte Alternative sind daher Studien ohne Zustimmung der Beforschten. Zwar gilt jeder medizinische Eingriff ohne Einwilligung des Betroffenen rechtlich als Körperverletzung. Auch verstößt die Ausforschung persönlicher Daten gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Doch gibt es eine Lösung, die es möglich macht, die Zustimmung der Beforschten zu umgehen: ForscherInnen bedienen sich einfach der Körpersubstanzen, die PatientInnen zu einem anderen Zweck, etwa zur Erstellung einer Diagnose, einvernehmlich entnommen worden sind.

Ein solches »Mitnutzen« oder besser Zweckentfremden von Körpersubstanzen ohne Wissen und Einwilligung derjenigen, die zur Ader gelassen wurden, ist nach herrschender Rechtsauffassung hierzulande dann zulässig, wenn der Forscher angibt, er habe die Proben und weitere persönliche Daten der ProbandInnen vor Studienbeginn anonymisiert. Denn für Daten, die einer bestimmten Person mit vertretbaren Aufwand nicht oder nicht mehr zugeordnet werden können, gilt kein Datenschutz.

  • Massive Konsequenzen

Dieses herrschende juristische Konzept nutzt ForscherInnen und ihren Auftraggebern. Den Beforschten nimmt sie dagegen jeglichen Einfluss darauf, was mit Blut oder Gewebe passiert, das ihnen entnommen wurde. Dabei können auch Ergebnisse von Forschungen mit anonymisierten Daten und Körpersubstanzen massiv in das Leben derjenigen zurückwirken, die zuvor Untersuchungsgegenstand waren.

Blut gilt als sehr aussagekräftiger »Datenträger«, dessen Analyse Aufschluss über die körperliche Verfassung eines Menschen geben und Einblick in seine Veranlagungen gewähren soll. Wird zum Beispiel unter Verwendung anonymisierter Blutproben von Menschen mit einer seltenen Krankheit oder einer Behinderung ein Gentest entwickelt, müssen die Angehörigen dieser Gruppen mit Konsequenzen rechnen. So können – sobald ein Gentest von WissenschaflerInnen und BürgerInnen als aussagekräftig akzeptiert ist – leicht Zwangssituationen entstehen, eine erbliche Veranlagung zu offenbaren, etwa gegenüber Versicherungen oder Arbeitgebern. Ungeborenen, bei denen ein Gentest die gesuchte Normabweichung im Mutterleib aufspürt oder vorhersagt, droht die Abtreibung. Und Eltern, die sich – trotz Vermeidungsoption – für ein behindertes Kind entscheiden, müssen mit sozialer und finanzieller Diskriminierung rechnen.

  • Anzeichen von Sensibilität

Sensibilität für solche Fragen hat inzwischen auch die Vorsitzende des Ethik-Beirates beim Bundesgesundheitsministerium, Regine Kollek, erkennen lassen. Zu prüfen sei, sagte die Professorin und Molekularbiologin im November laut tageszeitung (taz), ob Ringversuche zwecks Erprobung und Etablierung neuer Gentests, bei denen mehrere Universitäten anonymisierte Proben auswerten und evaluieren, überhaupt ohne Einwilligung der Betroffenen stattfinden dürften.

Auch einige DatenschützerInnen halten die herrschende Praxis für problematisch. »Es zeugt von einem verkürzten Verständnis von Persönlichkeits- und Datenschutz«, schreibt der Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Datenschutz, Thilo Weichert, »wenn angenommen wird, dass es nach einer Anonymisierung (…) nichts mehr gäbe, was geschützt werden müsse.« Denn Studien, die auf Basis anonymisierter Proben ermittelt wurden, können jede/n betreffen: »Diese Erkenntnisse«, folgert der Jurist Weichert, »finden nicht nur in der medizinischen Ausbildung Eingang, sondern werden selbst wieder zur Grundlage automatisierter Auswertungen.«

  • Politische Planungen

Und dafür interessieren sich nicht nur ÄrztInnen, die PatientInnen zwar individuell behandeln sollen, sich dabei aber auf statistisches Wahrscheinlichkeitswissen stützen. Auch GesundheitsökonomInnen nutzen die Ergebnisse für politische Planungen. »Versicherungsrisiken, durchschnittliche Lebenserwartung, künftige Krankenhausauslastung oder die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen«, erläutert Weichert, »werden mit Hilfe weiter aggregierter Daten auszurechnen versucht.«

Tatsächlich verstärkt sich im computerisierten Gesundheitswesen mit dem Informationsgefälle auch das Machtgefälle. Wer Körpersubstanzen und Gesundheitsdaten »spendet«, kann in der Regel nicht beeinflussen – geschweige denn bestimmen -, welche Forschungsfragen gestellt und wozu die Ergebnisse genutzt werden. Durch Auswertung anonymisierter Daten können »Risikogruppen« statistisch ermittelt, konstruiert und definiert werden.

Was anschließend passiert, hängt von der politischen Absicht ab; Zumutungen sind nicht unwahrscheinlich, zum Beispiel: höhere Versicherungsprämien für TrägerInnen bestimmter Merkmale und für Menschen mit bestimmten Verhaltensmustern, Rationierung medizinischer Leistungen für definierte »Risikogruppen«. Solche Folgen, die mit der datengestützten Etikettierung verbunden sind, bekommt jede/r einzelne definierte »Risiko- oder Merkmalsträger/in« zu spüren – unabhängig davon, ob er/sie die verwerteten Daten anonym oder personenbezogen abgegeben hat.

  • Informationsgesellschaft erwünscht?

Will der Gesetzgeber die Selbstbestimmung von PatientInnen in der »Informationsgesellschaft« wirklich ernst nehmen, muss er klarstellen, dass Menschen zu jeder Zeit selbst und informiert entscheiden können, an welchen Forschungen und Studien sie teilnehmen oder nicht. Dazu ist es unerläßlich, auch die »Mitnutzung« anonymisierter Körpersubstanzen von der Zustimmung der Betroffenen abhängig zu machen. WissenschaftlerInnen müssen verpflichtet werden, die Herkunft ihres Forschungsmaterials nachzuweisen. Zudem müssten die Studien selbst, ihr Anlass, ihre Ziele, Auftraggeber, potenzielle Ergebnisse und mögliche Alternativen, durchschaubar und kontrollierbar werden.

Völlig unzureichend ist die derzeitige Praxis, dass Ethik-Kommissionen an Universitätskliniken oder Landesärztekammern hinter verschlossenen Türen und ohne Beteiligung von PatientInnen darüber entscheiden, ob eine geplante Studien zulässig sein soll oder nicht. Dies hat der Berliner Arzt Johannes Spatz bereits vor Jahren mit »Geheimbündelei« verglichen und eine grundlegende Reform gefordert, die PatientientenvertreterInnen erheblich mehr Einflussnahme ermöglichen würde. Spatz, der 1998 im Bundestag als Sachverständiger zur Arzneimittelgesetznovelle kritisch Stellung nahm, ist auch Sprecher der Arbeitsgruppe Ethik im Berliner Patientenforum.

  • Ressourcen im Blick

Solange die Nutzung anonymisierter Körpersubstanzen und Daten ohne Zustimmung der Betroffenen hierzulande erlaubt und hingenommen wird, werden forschende MedizinerInnen PatientInnen in Krankenhäusern und Arztpraxen, aber auch BewohnerInnen von Alten- und Behindertenheimen als Ressourcen für wissenschaftliche Projekte betrachten und benutzen können. Mit den Grundrechten auf Menschenwürde und Selbstbestimmung verträgt sich das nicht.

© Ute Bertrand, 2000
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