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Interessante Expertise

Der Einfluss der pharmazeutischen Industrie auf die wissenschaftlichen Ergebnisse und die Publikation von Arzneimittelstudien lautet der Titel einer Ende 2008 abgeschlossenen Expertise, erstellt von der Arneimittelkommission der Bundesärztekammer. Leseprobe: »Publizierte Arzneimittelstudien, die von der pharmazeutischen Industrie finanziert werden oder bei denen ein Autor einen finanziellen Interessenkonflikt hat, haben weitaus häufiger ein für das pharmazeutische Unternehmen günstiges Ergebnis als Studien, die aus anderen Quellen finanziert werden.«

Die Expertise ist ONLINE




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Alle Daten offen legen

  • ExpertInnen fordern die verbindliche Registrierung sämtlicher klinischer Studien und ihrer Resultate

aus: BIOSKOP Nr. 48, Dezember 2009, Seiten 6+7

Von jeder zweiten Medikamentenstudie erfährt die Öffentlichkeit praktisch nichts, und niemand weiß wirklich, wie viele Arzneimittelprüfungen warum abgebrochen werden. Fachleute fordern den Gesetzgeber auf, eine Pflicht zur frühzeitigen Registrierung zu beschließen – jede/r Interessierte sollte via Internet nachschauen können, wo und mit welchem Ziel WissenschaftlerInnen und Unternehmen gerade neue Präparate testen. Derartige Transparenz scheint Firmen und PolitikerInnen aber noch zu weit zu gehen.

»Forschung ist die beste Medizin« – der einprägsame Slogan der Kampagne, betrieben vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), wird seit Juni 2004 über Anzeigen, Fernsehspots und eine eigene Internetseite verbreitet. Auf diese Weise werden nicht nur pharmazeutische »Fortschritte für die Patienten« publik gemacht. Mit Überschriften wie »Klinische Studien – Schlüssel zum Erfolg« geht es offensichtlich auch darum, Menschen zur Teilnahme an Arzneimittelprüfungen zu motivieren. Derartige Studien sind vorgeschrieben; sie sollen belegen, dass ein neues Medikament wirksam ist und mögliche, riskante Nebenwirkungen in der Abwägung zum Nutzen noch vertretbar sind. Gelingt der Nachweis, ist die Bahn frei für die behördliche Zulassung und die anschließende Vermarktung.

Rund 1.300 solcher Studien, so die Zahlen des VFA, laufen jährlich in Deutschland, je nach Prüfphase sind gewöhnlich zwischen 10 und 10.000 ProbandInnen dabei; an der Studie mit der »höchsten Patientenzahl aller Zeiten« hätten 68.038 Menschen teilgenommen, schreibt der VFA. Zur Publikation von Studienresultaten erklärt der Pharmaverband in seiner Info »Als Patient in einer klinischen Studie« auf seiner Homepage: »Forschende Pharmaunternehmen haben sich verpflichtet, die Ergebnisse jeder von ihnen beauftragten Patientenstudie zu veröffentlichen, wenn das erprobte Präparat zugelassen wird.« Diesen Satz muss man sehr genau lesen, entscheidend ist hier das Wort »wenn«: Es besagt, dass die verheißene Transparenz auf solche Studien beschränkt ist, die aus der Sicht des Herstellers zum Erfolg, also zur Zulassung einer Arznei geführt haben.

Das angestrebte Ziel wird aber keineswegs immer erreicht, etwa, wenn eine klinische Prüfung abgebrochen werden muss, weil ProbandInnen gesundheitliche Schäden erlitten haben oder sich während der Testphase herausstellt, dass das Prüfpräparat nicht wirkt wie erhofft. Wie häufig und warum Studien gestoppt werden, wissen allenfalls die so genannten Ethikkommissionen, sie müssen gemäß Arzneimittelgesetz vor dem Start einer klinischen Prüfung eine »zustimmende Bewertung« abgeben und auch während der Studie über eventuelle Komplikationen auf dem Laufenden gehalten werden. Diese Gremien wirken allerdings vertraulich – und ob, wo und durch wen Arzneimittelstudien abgebrochen wurden, wird nirgends systematisch registriert, schon gar nicht öffentlich bekannt gegeben.

Wie viele Studien vorzeitig scheitern, lässt die Publikationsrate in anerkannten wissenschaftlichen Fachzeitschriften zumindest erahnen. »Zirka 50 Prozent von dem, was als Forschung, klinische Studien begonnen wird, sieht nie die Öffentlichkeit«, sagt Gerd Antes, der am Universitätsklinikum Freiburg das »Deutsche Register Klinischer Studien« mit aufbaut; die dafür notwendigen Geldmittel hat das Bundesforschungsministerium im Herbst 2007 bewilligt. Seit August 2008 sind die ersten Daten online, zurzeit findet man dort Angaben zu erst 148 Studien – die Registrierung beruht auf Freiwilligkeit von ForscherInnen und Firmen.

»Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit der Einwilligung zur Studienteilnahme in Frage.«

Die hohe Rate an unterbliebenen Publikationen hält Antes für »völlig unakzeptabel«. Das Problem werde »noch dadurch verstärkt, dass ‘positive’ Studienergebnisse schneller und häufiger publiziert werden als ‘negative’ Ergebnisse«, schrieben er und seine Freiburger RegisterkollegInnen in einem Aufsatz für das Bundesgesundheitsblatt (Ausgabe 4/2009). Werden negative Studienergebnisse gezielt verschwiegen, führe dies zu einer »systematischen Verzerrung«, was Fachleute seit Jahren als »Publikationsbias« kritisieren. Mögliche Folgen seien ein »erheblicher Überoptimismus bezüglich der Wirksamkeit einer (neuen) Therapie bis hin zur Ignoranz potenzieller Nebenwirkungen«. Für betroffene PatientInnen könne die Publikationsbias »fatale Konsequenzen« haben. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass ForscherInnen ganze Studien »unnötigerweise« wiederholen und unwissentlich ProbandInnen dem Risiko bereits erwiesener, aber nicht publizierter Nebenwirkungen aussetzen könnten.

»Wer Ergebnisse einer Studie geheim hält, hintergeht die teilnehmenden Patienten und stellt die Rechtmäßigkeit der Einwilligung zur Studienteilnahme in Frage«, kritisiert Peter Sawicki, Leiter des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Als Anlass, die Öffentlichkeit derart zu alarmieren, nahm Sawicki einen Ende November veröffentlichten Abschlussbericht, mit dem das IQWiG drei Medikamente gegen Depressionen bewertet hat.

Einer der Hersteller, die Firma Pfizer, habe die Erstellung des Berichts »massiv behindert«, sagt Sawicki, dessen – aus Beiträgen der gesetzlich Krankenversicherten finanziertes – Institut die Aufgabe hat, »verlässliche Schlussfolgerungen über Nutzen und Schaden” von Arzneien zu ziehen. Pfizer habe sich »über lange Zeit geweigert«, dem IQWiG Informationen zu Studien über den Wirkstoff Reboxetin zur Verfügung zu stellen, der seit Ende 1997 unter dem Handelsnamen Edronax in Europa zugelassen ist. Mehrfach habe das IQWiG von Pfizer eine Liste »aller publizierten und unpublizierten Daten« vergeblich erbeten; in der öffentlich zugänglichen Literatur hätten nur Daten von rund 1.600 PatientInnen vorgelegen, die für einen Nutzen des Wirkstoffes sprachen. Die Kölner WissenschaftlerInnen fanden es aber »offenkundig«, dass Pfizer hier »knapp zwei Drittel aller bislang in Studien erhobenen Daten unter Verschluss hielt«, so dass eine Auswertung allein der frei verfügbaren Daten ein verzerrtes Bild ergeben hätte.

Die Registrierung müsse bereits bei Beginn einer Studie erfolgen und dürfe nicht nur auf Versuche mit Medikamenten begrenzt sein, empfehlen Experten wie Gerd Antes.

»Erst unter öffentlichem Druck«, so das IQWiG, habe Pfizer doch noch nachgegeben und die angemahnten Daten schließlich vollständig offen gelegt. So konnten Sawickis KollegInnen letztlich 17 »für die Nutzenbewertung geeignete« Studien mit insgesamt etwa 5.100 PatientInnen analysieren. Fazit des IQWiG: Weder für die Akuttherapie noch für die Rückfallprävention sei ein Nutzen für Reboxetin belegt. Weder hätten PatientInnen im Vergleich zu einem Scheinmedikament besser auf die Therapie angesprochen, noch konnten sie mit dem Wirkstoff von Pfizer ihren Alltag besser bewältigen. Bei zwei weiteren Antidepressiva, Bupropion XL und Mirtazapin, kamen die Kölner StudiencheckerInnen dagegen zu dem Schluss, dass ihr Nutzen für Menschen mit Depressionen hinreichend belegt sei.

Auf den IQWiG-Abschlussbericht reagierte Pfizer am 25. November mit einer eigenen Pressemitteilung, Überschrift: »Pfizer sieht positiven Nutzen von Reboxetin für die Behandlung der Depression«. Das Unternehmen werde den Bericht nun prüfen und später detailliert dazu Stellung nehmen; im übrigen sei Reboxetin »ein bereits älterer Wirkstoff«, der heute nur noch »bei einem kleinen Teil der Patienten« zwecks Behandlung der Depression eingesetzt werde.

Das IQWiG formuliert klare Forderungen: Der Bundestag müsse eine »Pflicht zur Veröffentlichung von Studienergebnissen gesetzlich regeln« und die Bundesregierung darauf drängen, dass auf EU-Ebene eine verbindliche Regelung umgesetzt werde, wie sie bereits seit 2008 in den USA gelte. Die Registrierung müsse bereits bei Beginn einer Studie erfolgen und dürfe nicht nur auf Versuche mit Medikamenten begrenzt sein, empfehlen Experten wie Gerd Antes. An und mit Menschen erprobt werden zum Beispiel auch Medizinprodukte, chirurgische und diagnostische Verfahren.

Auch beim Thema Studienregistrierung scheint der Gesetzgeber lieber an freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie als an eigene Kompetenzen zu glauben.

Dass die Politik den Argumenten der Fachleute folgen wird, ist bisher nicht zu erkennen – auch beim Thema Studienregistrierung scheint der Gesetzgeber lieber an freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie als an eigene Kompetenzen zu glauben.

Eindeutiger wird die neue, schwarz-gelbe Mehrheit in Berlin sicher bald handeln, wenn es gilt, über eine wichtige Personalie zu entscheiden. 2010 steht die Frage an, ob der Fünfjahresvertrag des IQWiG-Chefs Sawicki verlängert werden soll oder nicht. DER SPIEGEL hat sich wohl schon mal umgehört. Ende November meldete das Nachrichtenmagazin, »Regierungskreise« betrieben die Ablösung Sawickis; auf seiner Position würden sie lieber »einen industriefreundlicheren Kandidaten« platzieren.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2009
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