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Kommerzialisierte klinische Forschung

Der Wirtschaftsprofessor Philip Mirowski untersucht seit Jahren, wie Wirtschaft, Militär und Computertechnologie die Wissenschaften beeinflussen. Auch die Kommerzialisierung klinischer Studien gehört zum Forschungsgebiet des Professors, der an der University of Notre Dame im US-Staat Indiana lehrt.

»The Contract Research Organization and the Commercialization of Scientific Research« heißt ein spannender Aufsatz, den Mirowski gemeinsam mit Robert van Horn geschrieben hat. Der Aufsatz, der privatisierte Forschung im Pharmasektor eingehend beleuchtet, erschien im August 2005 in der sozialwissenschaftlichen Fachzeitschrift Social Studies of Science (Vol 35, No.4), Seiten 503-548.




ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Global, schnell, effizient, preiswert

  • Wie Dienstleistungsfirmen im Auftrag von Universitäten und Pharmaindustrie klinische Studien managen

aus: BIOSKOP Nr. 32”:/publikationen/zeitschrift-bioskop/nr-26-biobanken-juni-2004/, Dezember 2005, Seiten 8+9_

Seit den 1980-er Jahren expandiert das Management klinischer Studien. Eine wichtige Rolle spielen hier globale agierende Dienstleistungsunternehmen, die Arzneimitteltests im Auftrag von Pharmamultis, Biotech-Firmen und Universitätskliniken organisieren. Ein modernes Regime kommerzialisierter Wissenschaft – nicht zum Wohle von Kranken, sondern von Bilanzen.

In klinischen Studien werden meist Arzneimittel geprüft, finanziert werden die Testreihen überwiegend von Pharmafirmen. Die universitären Zentren, die sich hierzulande in einem nationalen Netzwerk der Koordinierungszentren für Klinische Studien (KKS) organisiert haben, wickelten im vergangenen Jahr 450 Studien ab – fast die Hälfte davon war industriegesponsert.

In diesem biomedizinischen Gebiet sind inzwischen neue, wenig beachtete Akteure unterwegs: die Contract Research Organizations (CROs). Als Vertragsfirmen bieten sie für ihre Auftraggeber aus Unikliniken, Kompetenznetzwerken und Pharma- oder Biotech-Unternehmen ein umfassendes Management klinischer Studien. Sie entwerfen ein Studiendesign, besorgen Versuchspersonen und PrüfärztInnen, schreiben Studienprotokolle und Einwilligungserklärungen, analysieren Daten, verhandeln mit Zulassungsbehörden und Ethik-Kommissionen. Außerdem offerieren CROs ihre Dienste für das Marketing neuer Produkte.

  • Mit Vorsicht zu genießen

Der Bundesverband Medizinischer Auftragsinstitute (BVMA) vertritt die Interessen jener rund zwanzig dominierenden CROs, die in der Bundesrepublik entweder ihren Hauptsitz oder Filialen unterhalten. Der Verband schätzt den europäischen Markt auf 10,43 Milliarden US-Dollar, und Wachstumsraten von rund zehn Prozent werden angepeilt. Die Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, denn eine offizielle Statistik über die Größe dieses Dienstleistungssektors gibt es nicht.

Einer der Global Player im klinischen Dienstleistungsgewerbe heißt Parexel. Die Firma hat weltweit fünfzig Niederlassungen, auch in Deutschland ist sie vertreten. Tempo sei das oberste Gebot, verkünden die Parexel-ManagerInnen, und sie geben sich einfühlsam: »Wir verstehen den enormen Druck, der heute pharmazeutische, biotechnologische und medizintechnologische Firmen trifft, um die Zeit der Medikamentenentwicklung zu verkürzen.«

Substanzen, die aussichtsreich erscheinen, werden meist schon vor Beginn der klinischen Prüfungen patentiert, das exklusive Verwertungsrecht besteht zwanzig Jahre. Das bedeutet: Je weniger Zeit und Geld die Studien und Zulassungsverfahren kosten, desto länger währt das Marktmonopol der Pharmafirma, die das Patent hält; sie kann dann Höchstpreise für das geschützte Medikament diktieren. Marktmonopole sind in diesem Gewerbe das handlungsleitende Motiv.

  • Versuchspersonen gezielt rekrutieren

Parexel oder Giganten wie Quintiles, Covance oder PPD inc bieten Vorteile für ihre Auftraggeber. Sie kennen Zulassungsbedingungen und zuständige Behörden in aller Welt. Sie unterhalten Labors und Rekrutierungsbüros für gesunde wie kranke StudienteilnehmerInnen – von Lettland bis Bombay. Der Bedarf an ProbandInnen steigt stetig. Über automatisierte Screeningverfahren werden immer mehr interessant erscheinende Substanzen identifiziert, was die Zahl der klinischen Versuche der Phase I erhöht. Für diese werden in der Regel gesunde Menschen gesucht, an denen gegen Zahlung einer »Aufwandsentschädigung« erprobt wird, ob die Stoffe verträglich sind. Je nach Studiendesign werden in den westlichen Ländern zwischen 400 und 2.000 Euro gezahlt. Für Studien der Phase II müssen mehrere hundert ProbandInnen angeworben werden, um Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Prüfsubstanz zu testen. In Versuchen der Phase III, deren Ergebnisse die Zulassungsbehörde endgültig überzeugen sollen, machen zum Teil über tausend Kranke mit. PrüfärztInnen, die Menschen zur Teilnahme an einer klinischen Studie bewegen, können in Industrieländern durchschnittlich 7.000 US-Dollar pro ProbandIn erwirtschaften.

Aus Sicht des BVMA scheitern mehr als 80 Prozent aller Studien in Westeuropa daran, dass nicht genug TeilnehmerInnen rekrutiert werden konnten. »Alternative Länder«, vor allen Dingen in Lateinamerika, Osteuropa und Asien, sollen die Lage »signifikant verbessert« haben, erläutert der Verband der Auftragsinstitute: »Dort werden große Populationen vorgefunden, das Einkommen ist im Durchschnitt niedriger (…) und der Zugang zu den Patienten wird häufig durch das Gesundheitssystem unterstützt (…) Dabei konnten die Gesamtkosten pro Patient günstiger gestaltet werden.«

Im Klartext: Wer arm ist, scheint eher bereit zu sein, sich für ein geringes Entgelt riskanten Versuchen auszusetzen; arme Kranke erhoffen sich von einer Studienteilnahme eine (vermeintliche) medizinische Versorgung. Die mitwirkenden ÄrztInnen sind mit geringeren Gehältern und Kopfgeldern zufrieden. Quintiles zum Beispiel ist in 49 Ländern aktiv. In den baltischen Staaten hat die Firma ein Netzwerk mit Zentren in Estland, Litauen und Lettland etabliert. In Kroatien, Russland, Ukraine, Rumänien und Bulgarien, in Lateinamerika, Indien und Korea sind zahlreiche Filialen aufgebaut worden.

  • Marketing mit Ghost-Writern

Die Vertragsfirmen bieten auch »medizinische Kommunikation« für das Marketing der Studienergebnisse an. Untersuchungen, die internationale Journale und Internetveröffentlichungen unter die Lupe genommen haben, haben Beunruhigendes aufgedeckt: Demnach sind rund zehn Prozent der Fachaufsätze über Resultate klinischer Studien von »Ghostwritern« oder »Ghostauthors« geschrieben worden. WissenschaftlerInnen, für deren Karrieren die Anzahl veröffentlichter Publikationen förderlich sein kann, haben einfach ihre Namen über die Artikel der Geister-Autoren gesetzt.

Mit solchen Praktiken haben die angestellten SpezialistInnen der CROs keine Probleme. Für sie sind akademische Publikationen nur als Marketingbaustein interessant. Was liegt also näher, als bezahlte Ghostwriter zu engagieren? Interviews mit diesen namenlosen AutorInnen hat die Canadian Broadcasting Corporation geführt. Ein Ghostwriter erläuterte dem Radiosender: »Ich bekomme einen Abriss, über was gesprochen und welche Studien zitiert werden sollen. Sie möchten, dass wir über das reden, was das Medikament gut aussehen lässt. (…) Negative Ereignisse werden einfach nicht erwähnt. (…) Ich folge nur den Informationen, die mir gegeben werden. (…) Wenn die Doktoren ihren Namen darüber setzten, dann ist das ihre Verantwortung, nicht meine.« Ein Artikel, gedruckt in einem angesehenen Top-Journal, bringt den Namenlosen rund 20.000 US-Dollar. Auch zu diesem Zweck unterhält Parexel Schreibbüros in 29 Ländern. Es ist eine differenzierte Ökonomie entstanden, in der Aussagen über Medikamente »verkauft« werden.

  • Fragwürdige »Innovationen«

Neue Wirkstoffe werde heute pharmakogenetisch getestet. Professionelles Datenmanagement komplexer, genetisch gescreenter »Patientenpools« ist deshalb erforderlich – ein ideales Marktsegment für medizinische Vertragsfirmen. Parexel beispielsweise wirbt mit ihrer Datenbasis am Institut für Klinische Pharmakologie in Berlin. Dort seien mehr als 5.000 »Freiwillige« und PatientInnen registriert, unter ihnen mehr als 800 genotypisierte.

Wer immer noch denkt, dass der Zweck klinischer Studien ausschließlich darin liegt, Wissen über Effekte verschiedener Substanzen und Therapien zu bekommen, hat die Rechnung ohne die CROs gemacht. Sie wollen den Zulassungsprozess »neuer« Medikamente beschleunigen und die Zahl der Arzneimittelprüfungen steigern. In den meisten Fällen bringen die pharmazeutischen Neuheiten aber keine besseren Behandlungen, und oft sind die Wirkstoffe nicht wirklich neu. Das Beispiel USA, die den weltweit größten Absatzmarkt für Arzneimittel bilden, macht dies deutlich: 77 Prozent der Medikamente, die von der US-Aufsichtsbehörde FDA zwischen 1998 und 2002 zugelassen wurden, sind weder neu noch besser als Präparate, die es längst gab. Bei den »Innovationen« handelt sich vor allem um leicht veränderte Produkte für Massenerkrankungen wie Depressionen und Herzinfarkte.

  • Grenzen verschwimmen weiter

CROs haben keine Skrupel. Sie geben Versuchspersonen Medikamente, die wegen ihren Nebenwirkungen ausgemustert wurden oder an der Zulassung gescheitert sind. Sie testen alte Substanzen, um ihre Wirkungen mit einer bereits existierenden Behandlung zu vergleichen – von Ergebnissen und Daten der Arzneiprüfungen erfährt die Öffentlichkeit nichts. Und CROs organisieren Studien, um das Verschreibungsverhalten von ÄrztInnen zu beeinflussen. Solche Testreihen, die ausschließlich Marketingzwecken dienen, sind einfach eine finanziell lukrative Chance für den klinischen Dienstleistungssektor. Die Grenzen zwischen Wissenschaft und Werbung verschwimmen weiter in der Welt privatisierter Forschung.

© Erika Feyerabend, 2005
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