BioSkop unterstützen! Kontakt Über uns

Noch keine endgültigen Daten

Die Strahlenschutzkommission hat eine »Orientierungshilfe für bildgebende Untersuchungen« verfasst, die Anfang 2010 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde. »Die neuen MR-Geräte«, heißt es darin, »haben eine Fülle von neuen Indikationsbereichen erkennen lassen.«

Mittels Magnetresonanztomographie, die mit starken Magnetfeldern arbeitet und anders als Röntgen und Computertomographie keine ionisierenden Strahlen einsetzt, könnten Diagnose und Behandlung von Erkrankungen »mit größerer Sicherheit erfolgen«, schreiben die Strahlenschützer. Weitgehend etabliert habe sich etwa die Darstellung des Gallenwegsystems, als Beispiele für neuere Indikationen benennen sie MRT der Brust und des Herzens. Der Einsatzbereich sei »im Fluss« und medizinische Indikationskataloge »ständig neu zu bewerten«.

Deutlich positioniert sich die Kommission zur Magnetresonanztomographie zu Beginn einer Schwangerschaft. In den ersten drei Monaten sei MRT »nur mit außerordentlich enger Indikation einzusetzen«. Die Möglichkeit einer Schädigung des Embryos »dürfte zwar wesentlich geringer sein« als bei der Anwendung ionisierender Strahlen, meinen die Experten. »Es liegen aber noch keine endgültigen Daten vor.«




KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Fragwürdiges Experiment

  • Geburt im Magnetresonanztomographen

aus: BIOSKOP Nr. 56, Dezember 2011, Seiten 12+13

Am 7. Dezember 2010 meldete das Berliner Universitätsklinikum Charité eine »Weltpremiere«, vollbracht in ihrer Radiologieabteilung: »Geburt im offenen MRT«. Medien berichteten ziemlich euphorisch. Doch es gibt auch Proteste.

Die Abkürzung MRT steht für Magnetresonanztomograph, ein Bild gebendes Gerät, das Fachleute mitunter auch »Kernspin« nennen. Zur Welt kam in diesem Umfeld ein 2.585 Gramm leichter Junge; in der 45-minütigen Endphase der Geburt hatte die Mutter in dem neuartigen MRT-Gerät gelegen, das laut Beschreibung der Charité-Pressestelle keine klassische Röhre ist, sondern aussieht wie ein riesiges, offenes Sandwich.

  • »Im Dienst der Wissenschaft«

Mit dieser technischen Methode wurde die Geburt »komplett« aufgezeichnet; dabei entstand auch eine »Videosequenz aus MR-Bildern vom Körperinneren der Mutter und der Bewegung des Kindes im Geburtskanal bis zum Austritt des Kopfes«, schilderten die verantwortlichen Radiologen. Und Professor Ernst Beinder, Direktor der Charité-Klinik für Geburtsmedizin, freute sich öffentlich: »Wir haben alle Details, von denen wir bislang nur durch Tastuntersuchungen wussten, genau sehen können.« Mutter und Baby hätten alles gut überstanden. Mindestens fünf weitere Geburten sollten auf diese Weise beobachtet werden.

Ziel der Wissenschaftler ist nach Darstellung der Öffentlichkeitsarbeiter »unter anderem«, mit Hilfe der Bilder besser zu verstehen, »warum bei 15 Prozent der Geburten ein Geburtsstillstand eintritt, der eine Kaiserschnitt-Entbindung notwendig macht«. Wisse man dank MRT-Einsatz künftig genauer, »wo kritische Phasen sind«, stellt Beinder in Aussicht, »können wir möglicherweise auch frühzeitig einen Geburtsstillstand verhindern”. Die so genannte »Geburt im Dienst der Wissenschaft« wurde mit Geld entgolten – der Mutter sei eine »kleine Entschädigung im unteren dreistelligen Bereich gezahlt« worden, teilte die Charité nebulös mit.

  • »Empfindlichstes Lebensstadium«

Das derart kommunizierte Ereignis sorgte für reichlich Resonanz, was das Berliner Uniklinikum sicher auch gehofft hatte. Zeitungsredaktionen produzierten Schlagzeilen wie »Charité-Sensation: Geburt live im MRT« oder »Weltpremiere – Die gläserne Geburt«, auch Fernsehsender filmten das interdisziplinäre Forscherteam um den Gynäkologen Beinder und den Ingenieur Felix Güttler, der die »Arbeitsgruppe Offene MRT« leitet.

Nicht erfahren hat die Öffentlichkeit bisher, dass die Geburt im Tomographen auch Bedenken und Proteste in bestimmten Fachkreisen provoziert hat. Im März 2011, rund dreieinhalb Monate nach der ungewöhnlichen Entbindung, erhielt das Gesundheitsamt Berlin-Mitte einen Brief von GreenBirth e.V., laut Selbstdarstellung ein unabhängiger Verein von Eltern, Hebammen und TherapeutInnen, die sich für die »Humanisierung der Geburt« einsetzen. »Wir führen Beschwerde«, schrieb die GreenBirth-Vorsitzende Irene Behrmann mit Blick auf die Verantwortlichen der MRT-Geburt, »weil junge, unerfahrene Frauen gegen eine ‘Entlohnung’ irregeführt werden, etwas Gutes für die Wissenschaft zu tun und dabei gleichzeitig unwissend ihr Kind eventuell irreversibel schädigen«. Es handele sich um einen »gezielten technischen Versuch an Menschen in einem ihrer empfindlichsten Lebensstadien«.

  • Beschwerde und Strafanzeige

Parallel zur Beschwerde beim Gesundheitsamt habe sie eine Strafanzeige bei der Berliner Staatsanwaltschaft erstattet, teilte Behrmann mit. Die in der Charité-Pressemitteilung erwähnten Geburtsmediziner hatte die GreenBirth-Vorsitzende wegen »vorsätzlicher (versuchter) Körperverletzung« angezeigt. Behrmanns Anwalt begründete dies unter anderem mit dem Lärm von 92 Dezibel, dem das Kind während seines Durchtritts durch das Becken der Mutter ausgesetzt worden sei – laute Geräusche, verursacht durch die Schaltvorgänge im MRT. Deshalb, so die Begründung der Anzeige, sei es »höchstwahrscheinlich« zu körperlichen Beeinträchtigungen, insbesondere Gehörschädigungen gekommen. Zudem wies Behrmanns Anwalt darauf hin, dass so starke Magnetfelder wie im MRT in der Natur nicht vorkämen. Über deren Unschädlichkeit liege eine »ähnliche Unkenntnis« vor wie vor Jahren beim bedenkenlosen Einsatz von Röntgenstrahlen.

Die Charité hatte in ihren Mitteilungen festgestellt: »Im MRT gibt es keine schädliche Strahlung für Mutter und Kind.« Allerdings hatte sie »unkomfortable Bedingungen« während der MRT-Geburt eingeräumt und auch darauf hingewiesen, dass die werdende Mutter und die beteiligten Forscher einen Gehörschutz trugen. Um die Lärmbelastung für das Baby »möglichst gering zu halten«, sei der Tomograph abgeschaltet worden, als der Kopf des Neugeborenen »ins Freie trat«.

  • Kein strafrechtlich geschütztes Recht auf ungestörte Geburt

Knapp zwei Monate nach der Anzeige stellte die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ein – Begründung: »Die angezeigte Handlung fällt unter kein geltendes, deutsches Strafgesetz.« Es lasse sich nicht nachweisen, dass im vorliegenden Fall eine »Person« geschädigt worden sei, außerdem sei die »Schädlichkeit von Magnetstrahlen derzeit wissenschaftlich nicht nachgewiesen«, und es gebe auch kein strafrechtlich geschütztes »Recht auf eine ungestörte Geburt«.

Traumatherapeutin Behrmann wird bei ihrer Kritik von vier Verbänden unterstützt, darunter die Gesellschaft für Geburtsvorbereitung und der Fachverband für Hausgeburtshilfe. Die Anzeigeerstatterin hakte mit Hilfe ihres Anwalts nach. Um den Sachverhalt »richtig feststellen zu können«, wurden die Berliner Strafverfolger darum gebeten, die dokumentarischen Aufzeichnungen über die MRT-Geburt beizuziehen. Ohne Erfolg, die Generalstaatsanwaltschaft Berlin wies auch die Beschwerde ab: »Bloße Vermutungen über mögliche Gesundheitsschädigungen«, so ihr ablehnender Bescheid, »verpflichten die Staatsanwaltschaft nicht, in Ermittlungen einzutreten.«

Auch mit dieser Belehrung ließen sich die Kritikerinnen nicht einfach abspeisen. Am 16. August reisten Behrmann und drei Mitstreiterinnen in die Hauptstadt, um die Beschwerde mit dem Gesundheitsamt Berlin-Mitte zu erörtern. Bei dieser Gelegenheit fragten sie die Behördenchefin und den Leiter des Kinder- und Jugendmedizinischen Dienstes, ob sie tun könnten, was die StaatsanwältInnen nicht machen wollten: den Geburtsbericht anfordern und einsehen. Zur Antwort bekamen sie einen rechtlichen Hinweis: Aus Datenschutzgründen seien ihnen die Hände gebunden, nicht möglich, solange die Eltern nicht einwilligten.

  • Fremdnützige Forschung?

Unklar ist bis heute, warum und unter welchen Auflagen eine Ethikkommission der Charité die MRT-Studie im eigenen Klinikum gebilligt hat, ungeklärt ist daher auch, mit welchem Argument die Höhe der finanziellen Entschädigung für die Mutter gerechtfertigt wurde. Deren Mitglieder seien allesamt zur Verschwiegenheit verpflichtet, erläuterte das Gesundheitsamt, nachdem es sich per Anfrage bei der Berliner Ärztekammer diesbezüglich schlau gemacht hatte.

Die Berliner Rechtsanwältin Ulrike Riedel, spezialisiert auf Medizinrecht und Mitglied im Deutschen Ethikrat, gab Behrmann einen weiteren Hinweis, der sich noch als brisant für die Charité-Experten erweisen könnte. »Ich meine«, schreibt Riedel, »dass hier auch der Frage nachzugehen ist, inwieweit es sich um fremdnützige Forschung an Nichteinwilligungsfähigen handelt.« An dieser Gruppe dürfe nur geforscht werden, wenn es den ProbandInnen selbst einen Vorteil bringe. Das Baby sei ab Beginn der Eröffnungswehen als »Person« im Sinne des Strafrechts anzusehen und durch den Körperverletzungs-Straftatbestand geschützt; auch das Verbot der fremdnützigen Forschung gelte für solche Kinder direkt, erläutert Riedel. Was verboten sei, könne auch nicht durch eine Einwilligung der Eltern legitimiert werden.

Bislang hat noch kein Politiker im Berliner Abgeordnetenhaus oder im Bundestag derartige Fragen zur MRT-Studie öffentlich aufgeworfen. Sachdienlich wäre auch zu erfahren, wer das Projekt finanziert und ob und in welchem Umfang womöglich öffentliche Mittel eingesetzt wurden.

  • Geld aus dem Zukunftsfonds

Einige Hinweise findet man auf den Internetseiten der Arbeitsgruppe Offene MRT. Sie werde durch den Zukunftsfonds des Landes Berlin unterstützt, in dem Gelder des Landes und des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung stecken. Die Medici News, herausgegeben von der Technologiestiftung Berlin, berichteten am 31.12.2010 ebenfalls über die Geburt im MRT, der eine zweijährige Forschungs- und Entwicklungsarbeit vorausgegangen sei. Dabei sei auch ein »neuartiger fetaler Überwachungsmonitor« entstanden, der die Kontrolle der Herztöne des Kindes und der Wehen der Mutter ermöglichte, ohne dabei das MRT-Gerät zu stören. »Die Entwicklung«, berichteten die Medici News, »führte zudem zu zwei Patentanträgen sowie der Anfertigung diverser wissenschaftlicher Arbeiten.« Der offene Hochfeld-MRT, hergestellt vom Elektronikkonzern Philips, sei bereits im Jahr 2007 angeschafft worden – im Rahmen eines vom Berliner Zukunftsfonds geförderten Projektes »Instrumentenentwicklung für die offene Hochfeld-MRT«.

Was die Mutter des im MRT geborenen Babys von alledem wusste, als sie ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an der »Weltpremiere« unterschrieb, wissen nur Eingeweihte. Sie sollten dies vollständig offen legen und erklären, welchen Nutzen der heute ein Jahr alte Junge von den merkwürdigen Begleitumständen seiner einmaligen Geburt hatte und hat. Die Besonderheit, die eine Journalistin der Berliner Morgenpost seinerzeit hervorhob, wird als Rechtfertigung sicher nicht ausreichen: Der Junge, schrieb sie, »wird sich später ein Video seiner eigenen Geburt ansehen können«.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2011
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Autors