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Texte und Analysen

Vermeintlich objektiv

»Allein im Gesundheitswesen werden so viele persönliche Daten ausgetauscht, dass ein Überblick größere Recherchen sowie juristisches und technisches Fachwissen voraussetzt. Die personelle und technische Ausstattung der Datenschutzbehörden steht in keinem Verhältnis zur zunehmenden Verdatung, so dass nur in Einzelfällen geprüft werden kann. (…)

Die technokratische Kontrolle des Arztes liegt nicht im Interesse der Patienten. Diese werden durch die Computerisierung nicht befähigt, besser zu überblicken, was ihre – weitgehend vorstrukturierte – Behandlung steuert oder sie gar selbst zu kontrollieren. Sie sollen darauf vertrauen, alles geschehe um ihretwillen und zu ihrem Besten; die Rationalität, die dem System eigen ist, berücksichtigt sie jedoch allenfalls am Rande. (…)

Der Blick auf die Daten lädt dazu ein, sich – am Betroffenen vorbei – ein vermeintlich objektives Bild von jemandem zu machen. Der Abgebildete dagegen hat es schwer, dieses Bild zu korrigieren.«

Feststellungen der Bioskoplerin Ute Bertrand. Ihr Aufsatz Der Patient als Datenträger erschien 1996 im Buch Fürsorge oder Vorsorge?, herausgegeben von Stephan Kolb. Die Analyse ist heute treffender denn je: Die technischen und rechtlichen Verdatungsoptionen sind seit den 1990er Jahren erheblich gewachsen.



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Datenhungrige Krankenkassen

  • Beschwerden gesetzlich versicherter PatientInnen häufen sich beim Bundesdatenschutzbeauftragten

aus: BIOSKOP Nr. 39, September 2007, Seiten 8+9

Krankenkassen bemühen sich zunehmend, mehr über ihre Versicherten in Erfahrung zu bringen. Zum Teil mit kreativen Ideen – aber nicht immer unter Beachtung der geltenden Gesetze. Beispiele, die keineswegs zur Nachahmung empfohlen sind, schildert Deutschlands oberster Datenschützer in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht.

»Belasten Sie eine oder mehrere der folgenden Umstände: Ehe- oder Partnerschaftskonflikte, Arbeitslosigkeit, beengte Wohnverhältnisse, finanzielle Sorgen?« Diese Frage zitieren wir nicht aus einem vertraulichen Gespräch einer Sozialberatungsstelle – sondern aus einem »Selbstauskunftsbogen«, den Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse beantworten sollen. Dies ist beileibe kein Einzelfall, weiß Peter Schaar, der amtierende Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Es sei eine »weit verbreitete Praxis« der Kassen, sich mittels vorformulierter Fragebögen nach Gesundheitszustand, Lebensumfeld und Befindlichkeiten von Versicherten zu erkundigen. Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, Arbeitsunfähigkeit festzustellen, Anträge für Mutter-Kind-Kuren zu prüfen oder andere medizinischen Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen zu bewilligen.

Derartige Praktiken, erläutert Schaar in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht für die Jahre 2005-2006, seien »unzulässig«. Das gelte auch für »Bestrebungen von Kassen«, Versicherte zur Abgabe einer allgemeinen Schweigepflicht-Entbindungserklärung zu bewegen, womit dann wiederum Krankenhäuser und andere Vorsorge- und Reha-Einrichtungen gedrängt werden sollen, sensible Daten direkt an die Kasse des Patienten zu übermitteln, beispielsweise Entlassungsberichte, Arztbriefe, Befundberichte, Röntgenaufnahmen und ärztliche Gutachten. »Nach dem Willen des Gesetzgebers«, das stellt der Bundesdatenschützer klar, dürfen konkrete Behandlungsunterlagen nur vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) angefordert, eingesehen und ausgewertet werden. Den MDK können Krankenkassen damit beauftragen, Anträge von Versicherten, etwa auf Bewilligung von Reha-Leistungen, zu begutachten. Gemäß SGB V (Sozialgesetzbuch V) darf der MDK dem Auftraggeber schließlich nur das Ergebnis der Prüfung mitteilen – »nicht aber die Informationen, aufgrund derer der MDK zu seiner Bewertung gekommen ist«, schreibt Schaar und betont, dies werde von der Bundesregierung genauso gesehen.

  • Nicht datenschutzkonform

Dass Krankenkassen den Datenschutz nicht immer ernst nehmen, belegen weitere Beispiele aus Schaars Tätigkeitsbericht. So hatten sich mehrere BürgerInnen darüber beschwert, dass gesetzliche Kassen Sozial- und Diagnosedaten an Hersteller von Rollstühlen weitergeleitet hatten – zur Erstellung von Kostenvoranschlägen zwecks Preisvergleich. Die Beschwerde ist berechtigt, findet der oberste Datenschützer, denn für das Übermitteln der Sozialdaten an Rollstuhl-Firmen und andere Produzenten technischer Hilfen gebe es keine Ermächtigung im SGB V.

Eine gesetzliche Grundlage fehle auch für eine weitere Masche, die Krankenkassen offenbar anwenden, um Kosten zu drücken: die Weiterleitung von Sozialdaten an so genannte »Hilfsmittelberater«, die im Auftrag einer Krankenkasse einzelne Versicherte begutachten sollen. Zu derartigen Prüfungen sei allein der MDK befugt, schreibt Schaar: »Mit dem Abschluss von Verträgen zwischen Krankenkasse und ‘Hilfsmittelberatern’ im Einzelfall wird meines Erachtens der gesetzliche Auftrag des MDK umgangen.« Bedenklich und nicht datenschutzkonform ist auch dies: Kassen fordern Hersteller orthopädischer Produkte auf, ihnen Bilder von PatientInnen zu schicken – angeblich, um den Einsatz nicht konfektionierter Sonderanfertigungen, etwa Brustprothesen, besser beurteilen zu können.

  • Merkwürdige Kartennutzung

Im verschärften Wettbewerb setzen die Krankenkassen auf PR-Aktionen, die neue Mitglieder anziehen und alte bei der Stange halten sollen. Beliebtes Instrument der Marketing-StrategInnen sind so genannte »Bonusprogramme«, die angeblich gesundheitsförderliches Verhalten _(Siehe BIOSKOP Nr. 25 mit kleinen Prämien belohnen. Den freiwilligen TeilnehmerInnen winken Vergünstigungen auf Produkte und Leistungen kommerzieller Geschäftspartner der Kassen. Für besonders einfallsreich halten sich wohl manche Betriebskrankenkassen: Als Boni gewährten sie Rabatte für Fitness-Artikel, verbilligten oder kostenlosen Eintritt bei Besuch eines Fußballspiels oder Wildparks, und eine Kasse bot vor Weihnachten 2005 gestressten Eltern sogar an, für ein paar Stunden ihre Kinder zu betreuen.

Bei solchen Werbegags sieht Datenschützer Schaar ein ernstes Problem: »Die Versichertenkarte«, schreibt er trocken, »wurde hier allein dazu genutzt, die Berechtigung zur Inanspruchnahme vergünstigter Leistungen privater Vertragspartner der Krankenkassen nachzuweisen.« Dies sei eine vom SGB V nicht gedeckte Zweckentfremdung, schlimmstenfalls müssten Versicherte mit Unannehmlichkeiten rechnen. »Ohne großen technischen Aufwand« sei es nämlich möglich, die auf der Karte gespeicherten Sozialdaten auszulesen und zu missbrauchen. Im Oktober 2005 reagierte der Bundesverband der Betriebskrankenkassen und informierte seine Mitglieder über Bedenken Schaars.

  • Abschließend geregelt

Wiederholt hatte der Datenschützer in der Vergangenheit bemängeln müssen, dass Krankenkassen Gesundheitsdaten von Versicherten erheben, wenn sie die Leistungsvoraussetzungen von häuslicher Krankenpflege prüfen. Es erschien ihnen wohl zu aufwändig, Aufträge für Gutachten an den MDK zu geben. Inzwischen hat auch die Bundesregierung die Kritik Schaars per Stellungnahme gestützt. Trotzdem gibt es immer noch Kassen, die Versicherten eine »Einwilligungserklärung zur Datenerhebung und Datenweitergabe« vorlegen. Wer sie unterschreibt, soll den Kassen gestatten, dass ihnen Inhalte der Pflegedokumentation geschickt werden, darunter auch Medikamentenpläne. Eine solche Erhebung sei schlicht »rechtswidrig«, schreibt Schaar. Im SGB V sei eindeutig und abschließend geregelt, welche medizinischen Daten Krankenkassen sammeln dürfen.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2007
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