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Die elektronische Gesundheits-Chipkarte (eGK) wird seit Herbst 2011 schrittweise eingeführt – mit großem Aufwand und unter Zwang. Dagegen mobilisiert u.a. das Komitee für Grundrechte und Demokratie, vor kurzem erschien das von ihm herausgegebene Buch Digitalisierte Patienten – Verkaufte Krankheiten, darunter Beiträge des langjährigen Datenschützers Wolfgang Linder und des _BIOSKOP_-Redakteurs Klaus-Peter Görlitzer.


Lesenswert

Zwei informative Broschüren zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK) hat das Forum InformatikerInnen für Frieden und Gesellschaftliche Verantwortung (FIFF) herausgegeben.

Bereits im Dezember 2005 erschien die Publikation Alles auf eine Karte?

2010 publizierte das FIFF dann die Broschüre Die neue elektronische Gesundheitskarte – The same procedure as every year?



KLAUS-PETER GÖRLITZER, Journalist und redaktionell verantwortlich für BIOSKOP

Radikale Veränderung

  • Elektronische Gesundheitkarte soll ab 2012 beschleunigt verbreitet werden – Versicherte können sich Zeit lassen

aus: BIOSKOP Nr. 56, Dezember 2011, Seite 3

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wird seit Oktober 2011 schrittweise eingeführt. Sie gilt als Schlüssel zum Aufbau einer komplexen Telematik-Infrastruktur, die in einigen Jahren auch den Zugriff auf zentral gespeicherte Patientendaten ermöglichen soll. »Das Gesundheitswesen in Deutschland wird durch die Online-Welt radikal verändert«, schwärmt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KV). »Es gibt dafür weltweit kein vergleichbares Beispiel.« Es hängt auch von den Versicherten ab, wie ausgiebig sie verdatet werden.

Die AOK Rheinland/Hamburg demonstrierte Zufriedenheit. Bis Anfang Dezember habe sie 300.000 E-Cards ausgegeben, teilte die Kasse öffentlich mit. Damit sei erfüllt, was der Bundestag vorgegeben hat: Bis Ende 2011 soll jede Krankenkasse mindestens zehn Prozent ihrer Mitglieder mit der neuen eGK ausgestattet haben. Den Zeitplan habe man »problemlos« einhalten können, »dank der großen Bereitwilligkeit unserer Versicherten, ein Foto von sich für die eGK zur Verfügung zu stellen«, sagt der stellvertretende Vorstandschef Günter Wältermann. Bis Frühjahr 2013 hofft die AOK Rheinland, ihre gesamte Kundschaft auf die eGK umgestellt zu haben.

Dabei haben die BürgerInnen eigentlich keinen Grund zur Eile. Denn die bisherige Krankenversichertenkarte (KVK) gilt zunächst weiter – und Kassen dürfen sie auch noch bis 2013 neu ausgeben, sofern die alte KVK abgelaufen ist. Und wer eine gültige KVK hat, muss seiner Kasse auch kein Foto für die neue eGK aushändigen.

Vorgesehen ist – sofern der Karteninhaber einwilligt – die Speicherung von »Notfalldaten«, zu denen erstaunlicherweise auch Angaben zur Organspendebereitschaft zählen sollen.

Auf dem Chip der eGK stehen zunächst kaum mehr Daten als auf der alten KVK, gespeichert werden Verwaltungsdaten wie Name, Anschrift und Geburtsdatum, neuerdings auch das Geschlecht. Im Laufe des kommenden Jahres soll sich dann aber zeigen, welches technische Potenzial mit der eGK verbunden ist. Dann startet nämlich der so genannte »Online-Rollout«, der erste Anwendungen der künftigen Telematik-Infrastruktur realisieren soll. Die neuen Kartenterminals, die ÄrztInnen, Kliniken und weitere Leistungserbringer benötigen, um die eGK einzulesen, werden mit den Computern der Krankenkassen vernetzt. Eingeführt wird dann auch das »Versichertenstammdaten-Management«, dies bedeutet: Beim ersten Besuch eines Patienten im Quartal wird online und automatisch abgeglichen, ob die auf der Chipkarte gespeicherten Daten mit denjenigen übereinstimmen, die bei seiner Kasse vorliegen.

Als, wie die KBV sie nennt, »Eintrittskarte in die Gesundheitstelematik« werden ÄrztInnen, ApothekerInnen, Hebammen und andere Gesundheitsdienstleister einen elektronischen Heilberufsausweis erhalten, mit dem sie sich jeweils autorisieren müssen, wenn sie auf gespeicherte eGK-Daten des Patienten zugreifen wollen. Diese »Zwei-Karten-Lösung« soll technisch verhindern, dass Unbefugte die Daten einfach einsehen können.

Sollte tatsächlich alles funktionieren wie geplant, könnten im nächsten Schritt, frühestens wohl ab 2013, die ersten sensiblen, medizinischen Informationen auf den Chip der eGK geladen werden. Vorgesehen ist – sofern der Karteninhaber einwilligt – die Speicherung von »Notfalldaten«, zu denen erstaunlicherweise auch Angaben zur Organspendebereitschaft zählen sollen.

Wie derartige Visionen technisch und im Detail verwirklicht werden sollen, ist derzeit weder gewiss noch überschaubar.

»In weiterer Zukunft«, orakelt das Bundesgesundheitsministerium (BMG), sei zusätzlich zu den Notfalldaten auch eine »elektronische Patientenakte denkbar«, auf die mittels eGK online zugegriffen werden kann; außerdem verheißt das BMG die »Unterstützung einer einrichtungsübergreifenden Behandlungsdokumentation zu einem Patienten«, die allen Heilberuflern fallbezogen zur Verfügung gestellt werden soll.

Wie derartige Visionen technisch und im Detail verwirklicht werden sollen, ist derzeit weder gewiss noch überschaubar, schon gar nicht für die Versicherten. Auf deren Bedarfe komme es den Telematikmachern tatsächlich gar nicht an, meint der Jurist Wolfgang Linder, der sich beim Komitee für Grundrechte und Demokratie ehrenamtlich engagiert. Vielmehr soll derzeit eine »gigantische, technisch anfällige und kostspielige Telematik-Infrastruktur durchgedrückt« werden, die sich an ökonomischen Interessen der Industrie orientiere.

Linder, früher hauptberuflicher Datenschützer in Bremen, warnt davor, dass in der Endausbaustufe der eGK »sämtliche medizinischen Behandlungsdokumentationen möglichst vieler Bürger auf zentralen Servern gespeichert werden sollen«. Das werde die Autonomie der Krankenversicherten sicher nicht stärken, sondern eher dazu führen, dass sie »ihr Gesundheitsverhalten daran ausrichten, dass sie durch eine anonyme Instanz überwacht werden«.

© Klaus-Peter Görlitzer, 2011
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