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ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

Sehr diskrete Selbstkontrolle

  • Für Außenstehende ist kaum nachvollziehbar, ob es im Transplantationsbetrieb mit rechten Dingen zugeht

aus: BIOSKOP Nr. 44, Dezember 2008, Seiten 8+9

Das Transplantationsgesetz (TPG) ist seit elf Jahren in Kraft. Aber noch immer ist undurchsichtig, ob beim Beschaffen und Verteilen menschlicher Körperstücke stets die geltenden Regeln eingehalten werden.

Anfang 2008 bekamen die Transplantationszentren Post vom Vorsitzenden der Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer (BÄK). Professor Hans Lilie macht sich Sorgen: Die Praxis der Organverteilung ist auffällig unübersichtlich. So gibt es PatientInnen, die Organe von der Vermittlungszentrale Eurotransplant (ET) erhalten, obwohl sie gar nicht in den ET angeschlossenen Staaten leben. Mangels exakter Datenlage ist ungewiss, ob privat Versicherte bei der Organzuteilung bevorzugt werden. Und Lilie spricht auch von »erheblichen Auffälligkeiten bei der Anmeldung von Patienten für besondere Dringlichkeitsstufen«, die jenseits der normalen Warteliste Organe erhalten. Zudem beschäftigt Lilie das »heimliche Verbringen eines Spendeorgans aus dem ET-Verbund in eine außereuropäische Klinik«. Die Konsequenzen? Die KollegInnen in den Transplantationszentren werden gebeten, die gesetzlichen Regeln und Richtlinien zu beachten und ihre obligatorischen Tätigkeitsberichte »zeitnah« an die Koordinierungsstelle DSO zu schicken.

Die Ausnahme ist zur Regel geworden.

Die bundesdeutschen Transplantationszentren müssen gemäß TPG eine einheitliche Warteliste führen, an der sich ET bei der Organvergabe zu orientieren hat. Doch es gibt Ausnahmen. Für das »Senior-Programm« von ET gibt es eine gesonderte Warteliste. Organe von über 65-jährigen SpenderInnen werden an betagte EmpfängerInnen verpflanzt. Die Körperteile sind vorgeschädigt und dürfen nicht lange transportiert werden. Sie werden deshalb zentrumsnah »im eigenen Haus oder in einer nahe gelegenen Klinik« verpflanzt.

Gleiches gilt für die vielen »marginalen Organe«, die in »modifizierten« oder »beschleunigten« Verfahren zugeteilt werden. Das sind verfettete Lebern, Organe von Menschen, die lange in Intensivstationen versorgt wurden, oder an bestimmten Krebs- oder Infektionserkrankungen litten. Rund 30 % aller Körperstücke – die Zahlen schwanken und sind je nach Organ verschieden – werden jenseits der regulären Warteliste lokal verteilt, die EmpfängerInnen »individuell« ausgewählt.

Zudem will der Professor wissen, »ob solche Organe bevorzugt an Empfänger außerhalb des Eurotransplantbereiches vermittelt werden, die unmittelbar in Kliniknähe z.B. im Hotel wohnen und auf eine Transplantation warten«.

Transplanteur Richard Viebahn aus Bochum fragt, »ob ein solches Organ in dem Transplantationszentrum, dessen Chirurgen die Organentnahme durchführen, an Patienten der ‘eigenen’ Warteliste vermittelt werden darf«. Zudem will der Professor wissen, »ob solche Organe bevorzugt an Empfänger aus der Gruppe von Ausländern außerhalb von Eurotransplant vermittelt werden, die unmittelbar in Kliniknähe z.B. im Hotel wohnen und auf eine Transplantation warten«.

Die einheitliche Warteliste wird auch umgangen, wenn PatientInnen vom behandelnden Chirurgen den HU-Status »high urgent« (»sehr dringend«) attestiert bekommen. Nach ärztlicher Einschätzung würden sie wahrscheinlich in den nächsten Tagen oder Wochen sterben, wenn kein Herz, keine Leber oder Lunge zur Verfügung gestellt werde. 2001 wurden 30% der rund 400 Herzen an diese Kranken vergeben, heute sind es 70%. Aus der Ausnahme ist die Regel geworden.

Unbekannt ist, wie sich diese Praxis auf die regulär Wartenden auswirkt und wie sich der hohe Anteil vom HU-Status erklären lässt. Ist die Gruppe der wartenden HerzpatientInnen kränker als früher? Verschaffen sich Zentren auf diese Weise möglichst viele Organe? Die Prüfungskommission, eingesetzt von BÄK, Krankenkassen und Krankenhausgesellschaft, kann ET nach Gründen fragen. Doch im einschlägigen Paragraphen 12 des TPG sind die Transplantationszentren nicht erwähnt. Dort aber wird die Dringlichkeitsstufe vergeben. Organverteilung oder Registrierungen von »high urgent«-Status werden nicht unabhängig beobachtet. Die Prüfungskommission kann um kollegiale Mitarbeit bitten. Das Recht, Akten einzusehen oder Auskünfte von den Transplantationszentren zu verlangen, hat sie nicht.

Gesundheitsbehörden und PolitikerInnen haben zu Kirstes Vorstoß bisher geschwiegen.

Auch offensichtliche Verstöße gegen das TPG werden im Geflecht der Selbstverwaltung einfach hingenommen. Vor fast drei Jahren berichteten Medien über eine dialysepflichtige Frau, die der Organentnahme bei ihrem »hirntoten« Ehemann nur zustimmen wollte, wenn sie dessen Niere bekäme. BÄK-Vizepräsident Andreas Crusius schätzt solche Anliegen auf »drei bis fünf Fälle im Jahr«.

Im bekannt gewordenen Berliner Fall hatten der damalige Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation, Hans-Ludwig Schreiber, sowie DSO-Chef Günter Kirste und der ärztliche Direktor der Berliner Klinik in einer Telefonkonferenz gemeinsam beschlossen, die regulär wartenden PatientInnen zu übergehen und einfach der Ehefrau die Niere persönlich zuzuteilen.

Kirste beabsichtigt, auch in Zukunft so vorzugehen – also von den Vorgaben des TPG einfach abzuweichen. In einem Schreiben an die geschäftsführenden Ärzte der DSO heißt es: »Jeder Fall wird akut in einer Telefonkonferenz zwischen der DSO, ET unter Hinzuziehung von Herrn Prof. Schreiber oder Herrn Professor Lilie diskutiert und entschieden.« Gesundheitsbehörden und PolitikerInnen haben zu Kirstes Vorstoß bisher geschwiegen.

© Erika Feyerabend, 2008
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