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    ERIKA FEYERABEND, Journalistin und BioSkoplerin

    Wachstumsorientierte Aufklärung

    • Die Zahl der »Lebendorganspenden« von Gesunden steigt – Über Risiken erfährt die Öffentlichkeit ziemlich wenig

    aus: BIOSKOP Nr. 23, September 2003, Seiten 12+13

    Leberstücke gesunder Menschen werden seit rund zehn Jahren transplantiert, Tendenz: steigend. Mit Hilfe dieser so genannten »Lebendspende« können PatientInnen Wartezeiten umgehen – oder auch medizinische Indikationen, die gegen eine Organübertragung sprechen. Mit welchen gesundheitlichen Folgen die »SpenderInnen« rechnen müssen, wird jedoch weder systematisch untersucht noch veröffentlicht.

    Jahrzehntelang galt es als Verstoß gegen die ärztliche Kunst, einen gesunden Menschen zu verletzen. Diese traditionsreiche Orientierung hat ein wachstumsorientiertes Transplantationssystem mit steigenden Kapazitäten, neuen Operationstechniken und endlosem Organbedarf aus den Angeln gehoben. Heute werben Chirurgen aktiv für die »Lebendorganspende«, bei der sich Gesunde zugunsten schwer kranker Familienangehöriger oder Bekannter eine Niere oder ein Leberstück heraus schneiden lassen. Die Kampagne scheint zu wirken: Bei jeder achten Lebertransplantation stammt hierzulande das verpflanzte Körperstück inzwischen von einem/r »Lebendspender/in«; jedes Jahr willigen fast 100 Menschen in die gefahrvolle Organentnahme ein.

    Ende der 1980-er Jahre veröffentlichten Chirurgen erstmalig ihre Experimente mit gesunden SpenderInnen und LeberpatientInnen, die sie als organbedürftig einstuften. Sie präparierten den linken Leberlappen heraus, um ihn Kindern wie Erwachsenen zu transplantieren. Bei erwachsenen EmpfängerInnen waren die Ergebnisse katastrophal, vor allem weil die Leberstücke sich oft als zu klein erwiesen. Das Innovationskarussell geriet dennoch nicht ins Stocken. Mitte der 1990e-r Jahre verkündeten Transplantationsteams die Entnahme des größeren rechten Leberlappens, also von bis zu 70 Prozent des lebenswichtigen Organs.

    Jede Operation ist riskant, und wenn es um den konkreten Einzelfall geht, sagen Statistiken über Komplikationen wenig aus. Doch es existiert nicht mal ein öffentliches, weltweites Register, das Ergebnisse aller »Lebendspenden« erfasst und Aufschluss über die Folgen für die SpenderInnen gibt. Publiziert sind lediglich Einzelberichte und Studien über die Praxis in Asien, USA und Europa, die auf Befragungen von Chirurgen basieren. Nach welchen Kriterien SpenderInnen ausgewählt und mit welchen Methoden ihre Leberstücke heraus präpariert werden, ist nicht standardisiert. Über Langzeitfolgen lässt sich wenig Verlässliches sagen.

    Hierzulande fließen Informationen noch spärlicher.

    Weltweit wechselten bisher über 2.500 Leberstücke Gesunder in die Körper von Kranken. Die besonders riskanten Entnahmen zugunsten erwachsener EmpfängerInnen häuften sich in den letzten Jahren. Bereits 1999 berichtete der US-amerikanische Chirurg R.W. Strong von sechs Todesfällen. Sein Chicagoer Kollege Mark Siegler vermutet eine Dunkelziffer. Im Februar 2003 veröffentlichten US-Mediziner im New England Journal of Medicine (NEJM 348/9, 2003, S. 818-825) Befragungsergebnisse zu 449 Teilleber-Transplantationen, die zwischen 1997 und 2000 in 42 US-Kliniken stattgefunden hatten. Laut dieser Studie bezahlten zwei Spender ihre Entscheidung mit dem Tod. Einer verstarb drei Tage nach der Operation in der erfahrenen Mount-Sinai-Klinik in New York; ein zweiter wurde durch die Körperstückentnahme selbst zum Schwerkranken und starb, während er selbst auf eine Lebertransplantation wartete. Zwei weitere, zuvor gesunde SpenderInnen wurden so schwer geschädigt, dass sie anschließend lebertransplantiert wurden. Jede/r Dritte bekam ernsthafte Komplikationen wie Blutungen, Thrombosen, Infektionen oder Verletzungen im Gallengang, fast jede/r zwanzigste SpenderIn musste deshalb anschließend operiert werden.

    Hierzulande fließen Informationen noch spärlicher. Zwar verpflichtet das Transplantationsgesetz die Kliniken zur medizinischen Nachbetreuung der »LebendspenderInnen« sowie zur »Qualitätssicherung, die auch einen Vergleich mit anderen Transplantationszentren ermöglichen« soll. Entsprechende Übersichten wurden bislang aber nicht veröffentlicht.

    Eine Recherche der TV-Journalistin Silvia Matthies förderte allerdings Alarmierendes zu Tage. In ihrem Film »Riskante Spende – Organe von Lebenden«, gesendet am 24. Juni 2003 im Regionalfernsehen des Bayerischen Rundfunks, berichtet Matthies: »Weltweit soll es nur sechs Todesfälle bei Spendern einer Leber geben. Allein in Deutschland sind uns vier Fälle bekannt geworden. Wir erfuhren, dass im Klinikum der Universität Jena zwei gesunde Lebendspender gestorben sind, mindestens ein weiterer in Essen.«

    »Ihre Leberlebendspende kann aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben dieser Person retten. Dies kann für Sie eine lebenslange moralische und emotionale Befriedigung bedeuten.«

    Das von Professor Christoph E. Broelsch geleitete Transplantationszentrum Essen gilt als erste Adresse für Leber-Verpflanzungen. Wer sich dort als potenzielle/r SpenderIn eines Leberstückes für Erwachsene meldet, bekommt ein spezielles »Informationsblatt«, das die Einwilligung in die Leberteilentnahme erleichtern soll. In dem Papier heißt es: »Die Leberlebendspende ist ein größerer chirurgischer Eingriff, der wie jede Operation Gefahren bergen kann, letztlich auch das Risiko, an der Operation oder an ihren Folgen zu versterben. Die Häufigkeit schwerwiegender Komplikationen ist jedoch als besonders gering einzuschätzen, wenn der Eingriff durch erfahrene Chirurgen aus dem Universitätsklinikum Essen vorgenommen wird.« Weiter wird behauptet, dass ein »weltweites Register von Lebendspendern« existiere, in denen sieben Todesfälle erfasst seien. »Bei diesen Patienten«, beruhigt das Essener Informationsblatt, »lagen jedoch besondere Risikokonstellationen vor, die wir bei Ihnen ausschließen können.« Das Gesamtrisiko, dass nach der Spenderoperation Komplikationen auftreten, »ist unter 10-15 Prozent einzuschätzen«; das Langzeitrisiko nach einer Leberteilentfernung »ist ebenfalls als sehr gering einzustufen«.

    Wer immer noch Bedenken hat, den ermutigt das Standard-»Informationsblatt« ganz persönlich: »Ihre Leberlebendspende kann aller Wahrscheinlichkeit nach das Leben dieser Person retten. Dies kann für Sie eine lebenslange moralische und emotionale Befriedigung bedeuten.«

    © Erika Feyerabend, 2003
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